Der Idiot
die Briefe drucken, die sie ihr über sehr wichtige
Gegenstände geschrieben hatten.. Und diese ganze Gesellschaft nahm der Fürst für bare Münze, für
reinstes Gold ohne Legierung. Übrigens traf es sich, daß auch all diese
Leute sich an diesem Abend in der glücklichsten Stimmung befanden und
mit sich selbst sehr zufrieden waren. Sie wußten sämtlich, daß sie der
Familie Jepantschin durch ihr Erscheinen eine große Ehre erwiesen. Aber
leider ahnte der Fürst von diesen Finessen nichts. Es kam ihm zum
Beispiel nicht der Gedanke, daß die Jepantschins jetzt, wo sie einen so
wichtigen Schritt wie die Entscheidung über das Lebensschicksal ihrer
Tochter vorhatten, es für ihre unerläßliche Pflicht hielten, ihn, den
Fürsten Ljow Nikolajewitsch, dem alten Würdenträger, dem anerkannten
Protektor ihrer Familie, vorzustellen. Der alte Würdenträger würde zwar
seinerseits sogar die Nachricht von dem furchtbarsten Unglück, das die
Familie Jepantschin betroffen hätte, mit größter Seelenruhe
hingenommen, sich aber unbedingt beleidigt gefühlt haben, wenn die
Jepantschins ihre Tochter ohne seinen Rat und sozusagen ohne seine
Erlaubnis verlobt hätten. Fürst N., dieser liebenswürdige, unstreitig
geistreiche und von einer hohen Freimütigkeit erfüllte Mensch, war von
der festen Überzeugung durchdrungen, daß er so eine Art von Sonne sei,
die an diesem Abend über dem Jepantschinschen Salon aufgehe. Er war der
Ansicht, daß sie unendlich weit unter ihm ständen, und gerade dieser
treuherzige, edle Gedanke erzeugte bei ihm jene bewundernswerte,
liebenswürdige Ungezwungenheit und Freundlichkeit eben diesen
Jepantschins gegenüber. Er wußte ganz genau, daß er an diesem Abend
unbedingt etwas erzählen müsse, um die Gesellschaft in Entzücken zu
versetzen, und bereitete sich hierauf mit einer gewissen Begeisterung
vor. Als Fürst Ljow Nikolajewitsch dann diese Erzählung mit angehört
hatte, mußte er sich bekennen, daß er noch nie etwas dem Ähnliches
gehört hatte: dieser glänzende Humor, diese bewunderswürdige Heiterkeit
und Naivität, die im Mund eines Don Juans, wie Fürst N., beinah etwas
Rührendes hatte, bezauberten ihn geradezu. Wenn er nur dabei gewußt
hätte, wie alt und abgenutzt diese Erzählung schon war, und daß der
Vortragende sie bereits ganz auswendig konnte, und daß sie bereits in
allen Salons den Hörern langweilig geworden war und nur bei den
harmlosen Jepantschins wieder als Neuigkeit erschien, als eine
freimütige, geistvolle Erinnerung, die einem geistvollen, schönen Mann
plötzlich eingefallen sei! Der deutsche Dichterling benahm sich zwar
sehr liebenswürdig und bescheiden; aber sogar er war beinah der
Ansicht, daß er diesem Haus durch seinen Besuch eine Ehre erweise. Aber
der Fürst bemerkte nicht die Kehrseite der Medaille, bemerkte nicht das
Unterfutter des schönen Gewandes. Dieses Resultat hatte Aglaja nicht
vorhergesehen. Sie selbst war an diesem Abend erstaunlich schön. Alle
drei Fräulein waren elegant, wiewohl nicht gerade luxuriös, gekleidet
und trugen sogar eine besondere Frisur. Aglaja saß neben Jewgeni
Pawlowitsch, mit dem sie sich sehr freundlich unterhielt und scherzte.
Jewgeni Pawlowitsch betrug sich etwas gesetzter als sonst, vielleicht
ebenfalls aus Respekt gegen die hohen Herren. Man kannte ihn übrigens
in der vornehmen Welt schon längst, und er fühlte sich dort bereits
heimisch, wiewohl er noch ein junger Mensch war. An diesem Abend war er
bei Jepantschins mit einem Trauerflor am Hut erschienen, und die alte
Bjelokonskaja lobte ihn deswegen: ein anderer der vornehmen Welt
angehöriger Neffe hätte unter solchen Umständen um einen solchen Onkel
vielleicht keinen Trauerflor angelegt. Lisaweta Prokofjewna billigte
diese Handlungsweise ebenfalls, schien aber im allgemeinen recht
sorgenvoll zu sein. Der Fürst bemerkte, daß Aglaja ein paarmal
aufmerksam nach ihm hinblickte und, wie es schien, mit ihm zufrieden
war. Allmählich fühlte er sich sehr glücklich. Die »phantastischen«
Gedanken und Befürchtungen, die er kurz vorher nach dem Gespräch mit
Lebedjew gehegt hatte, erschienen ihm jetzt, wenn er plötzlich an sie
zurückdachte, was er häufig tat, als ein lächerlicher Traum, der
unmöglich in Erfüllung gehen könne! (Und ohnehin hatte er gleich damals und dann den
ganzen Tag über dringend, wenn auch unbewußt gewünscht, es dahin zu
bringen, daß er an diesen Traum nicht glaubte!) Er redete wenig, und
nur wenn er gefragt wurde, und verstummte
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