Der Idiot
unglaublicher
Fall, das gebe ich zu; aber ...«
»Papa, es ist für Sie zum Mittagessen gedeckt«, meldete Warwara Ardalionowna, die ins Zimmer trat.
»Ah, das ist ja schön, ausgezeichnet! Ich habe auch schon gewaltigen
Hunger ... Aber dieser Fall hat, kann man sagen, auch seine
psychologische Seite ...«
»Die Suppe wird wieder kalt werden«, drängte Warwara ungeduldig.
»Gleich, gleich!« murmelte der General und verließ das Zimmer. »Und
trotz aller Nachforschungen ...«, hörte man ihn noch auf dem Korridor
sagen.
»Sie werden meinem Mann Ardalion Alexandrowitsch vieles nachsehen
müssen, wenn Sie bei uns wohnen bleiben«, sagte Nina Alexandrowna zum
Fürsten. »Er wird Sie übrigens nicht zu viel belästigen; er speist auch
allein zu Mittag. Sie geben gewiß selbst zu, daß jeder seine Mängel und
seine ... besonderen Eigentümlichkeiten hat und die Leute, auf die man
mit Fingern zu zeigen pflegt, oft noch nicht einmal so arg sind wie
manche andern Menschen. Nur um eins möchte ich Sie dringend bitten:
Sollte mein Mann sich einmal an Sie wegen der Zahlung für das Logis
wenden, so sagen Sie ihm, Sie hätten schon an mich bezahlt! Das heißt,
auch was Sie Ardalion Alexandrowitsch gäben, würde bei der Abrechnung
als von Ihnen bezahlt in Ansatz gebracht werden; aber ich bitte Sie
einzig um der guten Ordnung willen darum ... Was ist das, Warja?«
Warja war in das Zimmer zurückgekehrt und reichte der Mutter
schweigend Nastasja Filippownas Bild hin. Nina Alexandrowna zuckte
zusammen und betrachtete es zuerst wie erschrocken, dann mit einem
bedrückenden, bitteren Gefühl eine Zeitlang. Endlich richtete sie einen
fragenden Blick auf Warja.
»Sie hat es ihm heute selbst geschenkt«, sagte Warja, »und heute abend wird sich bei ihnen alles entscheiden.«
»Heute abend!« wiederholte Nina Alexandrowna halblaut wie in
Verzweiflung. »Nun, dann ist also nicht mehr daran zu zweifeln, und es
bleibt uns nichts mehr zu hoffen: durch die Schenkung des Bildes hat
sie sich deutlich genug erklärt ... Hat er es dir denn selbst gezeigt?«
fügte sie erstaunt hinzu.
»Sie wissen doch, Mama, daß wir schon seit einem ganzen Monat kaum
ein Wort miteinander reden. Ptizyn hat mir alles erzählt, und das Bild
lag dort neben dem Tisch auf dem Fußboden; da habe ich es aufgehoben.«
»Fürst«, wandte sich Nina Alexandrowna plötzlich an ihn, »ich wollte
Sie fragen (und eben deswegen hatte ich Sie hierher bitten lassen), ob
Sie mit meinem Sohn schon länger bekannt sind. Ich meine, er sagte, Sie
seien erst heute von anderwärts hier angekommen?«
Der Fürst gab ihr in Kürze über sich Auskunft, indem er die größere
Hälfte wegließ. Nina Alexandrowna und Warja hörten aufmerksam zu.
»Wenn ich Sie danach frage«, bemerkte Nina Alexandrowna, »so tue ich
es nicht in der Absicht, etwas über Gawrila Ardalionowitsch
herauszubekommen; geben Sie sich in dieser Hinsicht keinen irrigen
Vorstellungen hin! Wenn er etwas hat, was er mir nicht selbst gestehen
mag, so will ich das auch nicht hinter seinem Rücken in Erfahrung
bringen. Ich fragte namentlich deswegen, weil Ganja vorhin, als Sie
hinausgegangen waren, auf meine Frage nach Ihnen mir antwortete: ›Er
weiß alles; man braucht sich vor ihm nicht zu genieren!‹ Was bedeutet
das? Das heißt, ich möchte gern wissen, bis zu welchem Grade ...«
Auf einmal traten Ganja und Ptizyn ein. Nina Alexandrowna verstummte
sofort. Der Fürst blieb auf seinem Stuhl neben ihr sitzen, während
Warwara zur Seite ging. Nastasja Filippownas Bild lag an sehr
sichtbarer Stelle auf Nina Alexandrownas Arbeitstisch gerade vor ihr.
Als Ganja es erblickte, runzelte er die Stirn, nahm es ärgerlich vom
Tisch und warf es auf seinen Schreibtisch, der am andern Ende des
Zimmers stand.
»Also heute, Ganja?« fragte Nina Alexandrowna plötzlich.
»Was soll heute sein?« rief Ganja zusammenschreckend und fuhr
plötzlich auf den Fürsten los. »Ah, ich verstehe, Sie haben auch hier
... Aber was ist denn das in aller Welt mit Ihnen? Eine Art Krankheit?
Sind Sie nicht imstande, den Mund zu halten? Nun dann, bitte, begreifen
Sie endlich, Durchlaucht ...«
»Hier trage ich die Schuld, Ganja, und kein andrer«, unterbrach ihn Ptizyn.
Ganja blickte ihn fragend an.
»Es ist ja doch so am besten, Ganja, um so mehr, da von der einen
Seite die Sache erledigt ist«, murmelte Ptizyn; dann ging er zur Seite,
setzte sich an einen Tisch, zog ein mit Bleistift beschriebenes Blatt
Papier aus der Tasche und blickte
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