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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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hinkam; bisher hatte sie sich so hochmütig benommen, daß sie
in den Gesprächen mit Ganja nicht einmal den Wunsch, mit seinen
Angehörigen bekannt zu werden, ausgesprochen und in der letzten Zeit
ihrer überhaupt nie mehr Erwähnung getan hatte, als ob sie gar nicht
auf der Welt wären. Ganja war zwar zum Teil froh darüber, daß ihm
dieses für ihn so mißliche Thema erspart blieb; im stillen aber setzte
er ihr diesen Hochmut doch aufs Kerbholz. Jedenfalls hätte er von ihrer
Seite eher Spottreden und Sticheleien über seine Familie als einen
Besuch bei derselben erwartet; er wußte zuverlässig, daß ihr alles
bekannt war, was bei ihm zu Hause anläßlich seiner Bewerbung um ihre
Hand vorging, und daß sie sich keinen Illusionen darüber hingab, wie
seine Angehörigen über sie dachten. Ihr Besuch, jetzt, nach der Schenkung des Bildes und an ihrem
Geburtstag, an dem sie sein Schicksal zu entscheiden versprochen hatte,
schloß eigentlich schon beinahe die Entscheidung selbst in sich.
    Die Verständnislosigkeit, mit der alle den Fürsten ansahen, dauerte
nicht lange: Nastasja Filippowna erschien in eigener Person in der Tür
des Salons und schob wieder beim Eintritt ins Zimmer den Fürsten mit
einem leichten Stoß beiseite.
    »Endlich ist es mir gelungen, hereinzukommen ... Warum binden Sie
denn Ihre Klingel fest?« fragte sie munter und reichte Ganja die Hand,
der eilig zu ihr hinstürzte. »Warum machen Sie denn ein so betrübtes
Gesicht? Bitte, stellen Sie mich doch vor ...!«
    Ganja, der ganz die Besinnung verloren hatte, stellte sie zuerst
seiner Schwester Warja vor, und die beiden Frauen maßen einander, bevor
sie sich die Hände reichten, mit sonderbaren Blicken. Nastasja
Filippowna lachte übrigens und fingierte Heiterkeit; Warja dagegen
wollte sich nicht verstellen und blickte düster und starr; nicht einmal
eine Spur von Lächeln, wie es schon die einfache Höflichkeit verlangt,
zeigte sich auf ihrem Gesicht. Ganja fuhr erschrocken zusammen; seine
Schwester zu bitten, dazu war es zu spät; so warf er ihr denn einen so
drohenden Blick zu, daß sie begriff, was dieser Augenblick für ihren
Bruder bedeutete. Da entschloß sie sich, wie es schien, ihm zu
willfahren, und lächelte Nastasja Filippowna ein ganz klein wenig an.
(Im Grunde liebten in der Familie alle einander doch noch.) Nina
Alexandrowna verbesserte die Situation einigermaßen; diese hatte der
völlig verwirrte Ganja erst nach seiner Schwester vorgestellt und dabei
sogar seine Mutter zu Nastasja Filippowna hingeführt, statt umgekehrt.
Aber kaum hatte Nina Alexandrowna angefangen, von ihrer »ganz
besonderen Freude« zu reden, als Nastasja Filippowna, ohne sie zu Ende
zu hören, sich schnell zu Ganja wandte und, während sie unaufgefordert
auf einem kleinen Sofa in der Ecke am Fenster Platz nahm, ihm zurief:
»Wo ist denn Ihr Arbeitszimmer? Und ... und wo sind Ihre Untermieter?
Sie geben ja wohl Zimmer an solche ab?«
    Ganja wurde dunkelrot und begann eine Antwort zu stottern; aber
Nastasja Filippowna fügte sogleich hinzu: »Wo haben Sie denn hier noch
Raum, um Untermieter zu halten? Sie haben ja nicht einmal ein eigenes
Zimmer. Ist denn das Weitervermieten einträglich?« wandte sie sich
plötzlich an Nina Alexandrowna.
    »Es macht einige Mühe und Umstände«, antwortete diese. »Natürlich muß es auch etwas einbringen. Wir sind indessen eben erst ...«
    Aber Nastasja Filippowna hörte sie wieder nicht zu Ende; sie blickte
Ganja an, lachte und rief: »Nein, was machen Sie nur für ein Gesicht?
Oh mein Gott, was haben Sie in diesem Augenblick für ein Gesicht!«
    Dieses Lachen dauerte einige Sekunden. Ganjas Gesicht sah allerdings
arg entstellt aus: die Starrheit und die komische, ängstliche
Fassungslosigkeit waren zwar von ihm gewichen; aber er war schrecklich
blaß geworden, seine Lippen hatten sich krampfhaft verzogen, und er
blickte schweigend, forschend und mit einem bösen Ausdruck unverwandt
seiner Besucherin ins Gesicht, die immer noch fortfuhr zu lachen.
    Es war noch ein Beobachter da, der sich ebenfalls noch nicht hatte
von der Betäubung frei machen können, die ihn bei Nastasja Filippownas
Anblick überkommen hatte; aber obgleich er immer noch wie eine
Bildsäule an seinem früheren Fleck, in der Tür des Salons, stand, hatte
er doch bemerkt, wie Ganja blaß wurde und sein Gesicht einen bösartigen
Ausdruck annahm. Beinah erschrocken darüber trat er plötzlich
unwillkürlich vor.
    »Trinken Sie Wasser«, flüsterte er Ganja zu,

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