Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
»und blicken Sie nicht so ...«
    Es war klar, daß er das ohne allen Vorbedacht, ohne jede besondere
Absicht, nur so im ersten Impuls gesagt hatte; aber seine Worte
brachten eine ganz merkwürdige Wirkung hervor. Ganjas ganze Wut schien
sich auf einmal gegen den Fürsten zu richten; er faßte ihn an der
Schulter und blickte ihn schweigend, rachsüchtig und haßerfüllt an, wie
wenn er nicht imstande wäre, ein Wort herauszubringen. Es entstand eine
allgemeine Bewegung: Nina Alexandrowna stieß sogar einen leisen Schrei
aus. Ptizyn tat beunruhigt einige Schritte nach vorwärts; Kolja und
Ferdyschtschenko, die in der Tür erschienen waren, blieben erstaunt
stehen; nur Warja behielt ihren Blick unverändert bei, beobachtete aber
aufmerksam, was vorging. Sie hatte sich nicht hingesetzt, sondern stand
seitwärts neben der Mutter, die Arme über der Brust verschränkt. Aber
Ganja gewann schnell die Herrschaft über sich zurück, unmittelbar
nachdem er sich so hatte hinreißen lassen, und lachte nervös auf. Er
war nun vollständig wieder zu sich gekommen.
    »Ja, was soll denn das vorstellen, Fürst? Sind Sie denn ein Arzt?«
rief er in möglichst heiterem, treuherzigem Ton. »Sie haben mich
geradezu erschreckt! Nastasja Filippowna, ich möchte Ihnen da diesen
ganz köstlichen Menschen empfehlend vorstellen, obwohl ich selbst ihn
erst seit heute morgen kenne.«
    Nastasja Filippowna blickte den Fürsten verwundert an.
    »Ein Fürst? Der ein Fürst? Denken Sie sich, ich habe ihn vorhin im
Vorzimmer für einen Bedienten gehalten und ihn hergeschickt, um mich
anzumelden! Hahaha!«
    »Das tut ja nichts, das tut ja nichts!« fiel Ferdyschtschenko ein,
der eilig nähertrat und sich freute, daß man zu lachen anfing. »Das tut
ja nichts; se non è vero ...«
    »Und ich hätte Sie beinahe noch ausgeschimpft, Fürst! Bitte,
verzeihen Sie mir ...! Aber Ferdyschtschenko, wie kommt es denn, daß
Sie zu dieser Tageszeit hier sind? Ich dachte, Sie würde ich hier ganz
gewiß nicht treffen ... Wer ist der Herr nun? Was für ein Fürst?
Myschkin?« sagte sie zu Ganja, der ihr inzwischen den Fürsten, welchen
er noch immer an der Schulter gefaßt hielt, vorgestellt hatte.
    »Unser Untermieter«, wiederholte Ganja.
    Sie waren offenbar bemüht, den Fürsten als eine Art von seltener
Kuriosität darzustellen (alle sahen darin einen Ausweg aus einer
unerquicklichen Situation), und schoben ihn förmlich zu Nastasja
Filippowna hin; der Fürst hörte sogar deutlich das Wort »Idiot«, das
jemand, wahrscheinlich Ferdyschtschenko, hinter seinem Rücken zur
Information für Nastasja Filippowna flüsterte.
    »Sagen Sie, warum haben Sie mich denn vorhin nicht aufgeklärt, als
ich mich in Ihnen so schrecklich irrte?« fragte Nastasja Filippowna
weiter und musterte den Fürsten vom Kopf bis zu den Füßen in der
ungeniertesten Weise.
    Sie wartete ungeduldig auf seine Antwort, wie wenn sie im voraus
völlig überzeugt wäre, daß die Antwort unfehlbar so dumm sein werde,
daß sie dar über werde lachen müssen.
    »Ich war erstaunt, Sie so plötzlich vor mir zu sehen«, murmelte der Fürst.
    »Aber woher wußten Sie denn, daß ich es war? Wo haben Sie mich
früher gesehen? Wie geht es nur zu: mir ist tatsächlich, als hätte ich
ihn schon irgendwo gesehen! Und gestatten Sie die Frage: warum blieben
Sie vorhin so starr auf Ihrem Fleck stehen? Was habe ich denn an mir,
das eine solche Wirkung hervorbringen könnte?«
    »Nun zu! Zu!« trieb Ferdyschtschenko, der fortfuhr, Gesichter zu
schneiden, den Fürsten an. »Zu doch! Oh mein Gott, was für schöne Dinge
würde ich auf eine solche Frage antworten! Nun zu doch ...! Wenn Sie da
nicht reden, sind Sie ja der reine Tölpel, Fürst!«
    »Auch ich würde eine Menge reden, wenn ich Sie wäre«, antwortete ihm
der Fürst lachend. »Ihr Bild, das ich vor kurzem sah, hat auf mich
einen starken Eindruck gemacht«, fuhr er, zu Nastasja Filippowna
gewendet, fort. »Dann habe ich mit Jepantschins von Ihnen gesprochen
... und schon heute früh, noch ehe ich in Petersburg ankam, hat mir
Parfen Rogoschin viel von Ihnen erzählt ... Gerade in dem Augenblick,
als ich Ihnen die Tür öffnete, hatte ich an Sie gedacht, und da standen
Sie plötzlich vor mir.«
    »Aber woher wußten Sie denn, wer ich war?«
    »Nach dem Bild und ...«
    »Und woher noch?«
    »Außerdem deswegen, weil ich Sie mir gerade so vorgestellt habe ... Auch mir ist, als hätte ich Sie schon irgendwo gesehen.«
    »Wo denn? Wo denn?«
    »Ich habe die

Weitere Kostenlose Bücher