Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
abseits wie entehrt, und Nastasja
Filippowna schien ganz vergessen zu haben, daß beide sich mit ihr in
demselben Zimmer befanden ... Und wenn sie sich so benahm, so hatte sie
sicherlich dabei ihre Absicht!
    Ferdyschtschenko faßte den General bei der Hand und führte ihn näher heran.
    »Ardalion Alexandrowitsch Iwolgin«, sagte der General würdevoll und
verbeugte sich lächelnd, »ein alter unglücklicher Soldat, der Vater
dieser Familie, die sich glücklich fühlt in der Hoffnung, ein so
reizendes neues Mitglied in ihren Schoß ...«
    Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen; Ferdyschtschenko schob
ihm schnell von hinten einen Stuhl hin, und der General, der um diese
Nachmittagsstunde etwas unsicher auf den Beinen war, setzte sich oder
fiel vielmehr mit dumpfem Geräusch auf den Stuhl nieder, was ihn
übrigens nicht weiter verlegen machte. Er saß Nastasja Filippowna
gerade gegenüber und führte mit einer anmutigen Gebärde ihre feinen
Finger langsam und effektvoll an seine Lippen. Überhaupt war es recht
schwer, den General in Verlegenheit zu setzen. Sein Äußeres war, von
einer gewissen Nachlässigkeit abgesehen, immer noch ziemlich anständig,
was er selbst recht wohl wußte. Er hatte früher Gelegenheit gehabt, in
sehr guter Gesellschaft zu verkehren, aus der er erst vor zwei, drei
Jahren endgültig ausgeschlossen worden war. Seitdem hatte er sich
allerdings widerstandslos seinen Schwächen hingegeben; aber seine
gewandten, angenehmen Manieren hatte er sich immer noch bewahrt.
Nastasja Filippowna schien über das Erscheinen Ardalion
Alexandrowitschs, über den sie natürlich schon manches gehört hatte,
außerordentlich erfreut zu sein.
    »Ich habe gehört, daß mein Sohn ...«, begann der General.
    »Ja, Ihr Sohn! Aber Sie sind mir auch nett, Papachen! Warum lassen
Sie sich nie bei mir sehen? Verstecken Sie sich selbst, oder versteckt
Sie Ihr Sohn? Sie wenigstens können doch zu mir kommen, ohne jemanden
zu kompromittieren.«
    »Die Kinder des neunzehnten Jahrhunderts und ihre Väter ...«, fing der General wieder an.
    »Nastasja Filippowna«, sagte Nina Alexandrowna laut, »lassen Sie
doch, bitte, meinen Mann für einen Augenblick fortgehen; es fragt
jemand nach ihm.«
    »Fortgehen lassen? Aber ich bitte Sie, ich habe so viel von ihm
gehört und schon so lange gewünscht, ihn persönlich kennenzulernen! Und
was kann er denn zu tun haben? Er befindet sich ja doch im Ruhestand?
Sie werden mich doch nicht verlassen, General, werden doch nicht
fortgehen?«
    »Ich gebe Ihnen mein Wort, daß er Ihnen bald einen Besuch machen wird; aber jetzt bedarf er dringend der Ruhe.«
    »Ardalion Alexandrowitsch, es wird behauptet, Sie bedürften dringend
der Ruhe!« rief Nastasja Filippowna mit unzufriedener, schmollender
Miene, wie ein launisches kleines Mädchen, dem man sein Spielzeug
wegnimmt.
    Der General benutzte die Gelegenheit, sich noch weiter närrisch zu gebärden.
    »Liebe Frau, liebe Frau«, sagte er vorwurfsvoll, indem er sich würdevoll zu ihr hinwandte und die Hand aufs Herz legte.
    »Wollen Sie nicht hinausgehen, Mama?« fragte Warja laut.
    »Nein, Warja, ich will bis zu Ende hierbleiben.«
    Nastasja Filippowna mußte die Frage und die Antwort gehört haben;
aber ihre Heiterkeit schien dadurch nur noch vergrößert zu werden. Sie
überschüttete den General sofort wieder mit Fragen, und fünf Minuten
darauf befand sich dieser in höchst gehobener Stimmung und erging sich
unter dem lauten Gelächter der Anwesenden in längeren Tiraden.
    Kolja zupfte den Fürsten am Rockschoß.
    »Führen Sie ihn doch weg! Das darf nicht so weitergehen!
Tun Sie uns doch den Gefallen!« Dem armen Jungen funkelten Tränen der
Entrüstung in den Augen. »Oh, der nichtswürdige Ganja!« fügte er für
sich hinzu.
    »Mit Iwan Fjodorowitsch Jepantschin war ich tatsächlich eng
befreundet«, erwiderte der General redselig auf Nastasja Filippownas
Fragen. »Ich, er und der verstorbene Fürst Nikolai Lwowitsch Myschkin,
dessen Sohn ich heute nach einer zwanzigjährigen Trennung wieder umarmt
habe, wir waren drei unzertrennliche Kameraden, sozusagen eine
Kavalkade wie Atos, Portos und Aramis. Aber leider liegt der eine von
uns im Grab, von Verleumdungen und von einer Kugel zu Tode getroffen,
und der zweite, der hier vor Ihnen sitzt, hat noch immer mit
Verleumdungen und Kugeln zu kämpfen ...«
    »Mit Kugeln?« rief Nastasja Filippowna aus.
    »Sie sitzen hier, in meiner Brust; ich habe sie vor Kars erhalten,
und bei schlechter

Weitere Kostenlose Bücher