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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Empfindung, als hätte ich Ihre Augen schon einmal
irgendwo gesehen ... aber es ist unmöglich! Ich bilde es mir nur so ein
... Ich bin nie hier gewesen. Vielleicht daß ich im Traum ...«
    »Bravo, Fürst!« rief Ferdyschtschenko. »Nein, ich nehme mein se non
è vero zurück. Übrigens ... übrigens sagt er das ja alles in reiner
Unschuld!« fügte er bedauernd hinzu.
    Der Fürst hatte jene wenigen Sätze mit unruhiger Stimme gesprochen,
mehrfach stockend und häufig dazwischen Atem holend. Sein ganzes Wesen
bekundete eine hochgradige Erregung. Nastasja Filippowna blickte ihn
neugierig an, lachte aber nicht mehr. In diesem Augenblick ertönte
plötzlich hinter der Gruppe, die dicht geschart um den Fürsten und
Nastasja Filippowna herumstand, eine neue, kräftige Stimme, schob
sozusagen die Gruppe in zwei Hälften auseinander und schuf in ihr eine
Gasse. Vor Nastasja Filippowna stand das Oberhaupt der Familie selbst,
General Iwolgin. Er hatte den Frack und ein reines Vorhemd angelegt und
sich den Schnurrbart frisch gefärbt.
    Das war mehr, als Ganja ertragen konnte.
    Selbstsüchtig und eitel bis zur Nervosität, bis zur Hysterie, hatte
er diese ganzen zwei Monate lang nach Mitteln gesucht, sich ein
anständigeres, vornehmeres Air zu geben. Er fühlte, daß er auf dem
erwählten Weg noch ein Neuling sei und vielleicht nicht imstande sein
werde, ihn dauernd einzuhalten. In seiner Verzweiflung war er
schließlich dazu gelangt, zu Hause, wo er der reine Despot war, sich
ganz brutal zu benehmen, wagte dies aber nicht in Gegenwart Nastasja
Filippownas zu tun, die ihn bis zu diesem Augenblick immer in
Verwirrung gesetzt und ihn erbarmungslos tyrannisiert hatte. Einen
»ungeduldigen Bettler« hatte sie selbst ihn genannt, eine Bezeichnung,
die ihm hinterbracht worden war, und er hatte sich heilig zugeschworen,
ihr das alles später einmal heimzuzahlen, obwohl er gleichzeitig
manchmal in kindlicher Weise davon geträumt hatte, alles in gute
Ordnung zu bringen und alle Gegensätze zu versöhnen. So stand die
Sache, und nun mußte er jetzt noch diesen schrecklichen Becher leeren,
und noch dazu gerade in einem solchen Augenblick! Eine
unvorhergesehene, aber für einen eitlen Menschen ganz besonders
furchtbare Folter sollte er erdulden: die Qual, für seine Angehörigen
bei sich zu Hause erröten zu müssen!
    In diesem Augenblick ging ihm der Gedanke durch den Kopf: ist denn
schließlich der in Aussicht stehende Preis all diese Mühe und all diese
Schmerzen wert?
    Jetzt vollzog sich dasjenige, was ihm während dieser zwei Monate nur
nachts in beängstigenden Träumen vor das geistige Auge getreten war und
ihn mit eisigem Schreck, mit glühender Scham erfüllt hatte: es fand
endlich im Familienkreis ein Zusammentreffen zwischen seinem Vater und
Nastasja Filippowna statt. Er hatte manchmal in spöttischer
Selbstverhöhnung versucht, es sich auszumalen, was für eine Figur der
General bei der Trauung machen werde, hatte aber nie vermocht, sich das
qualvolle Bild vollständig zu vergegenwärtigen, sondern es immer rasch
wieder beiseite geschoben. Vielleicht machte er sich von dem ihm
erwachsenden Schaden maßlos übertriebene Vorstellungen; aber so geht es
eitlen Menschen stets. In diesen zwei Monaten hatte er sich die Sache
überlegt, seinen Entschluß gefaßt und sich fest vorgenommen, seinen
Vater um jeden Preis irgendwie aus dem Weg zu schaffen, wenn auch nur
auf einige Zeit, und ihn womöglich sogar aus Petersburg verschwinden zu
lassen, mochte nun die Mutter damit einverstanden sein oder nicht. Als
vor zehn Minuten Nastasja Filippowna eingetreten war, hatte ihn das
dermaßen überrascht und betäubt, daß er an die Möglichkeit des
Erscheinens seines Vaters auf der Bildfläche mir keinem Ge danken
gedacht und keinerlei Anordnungen in dieser Hinsicht getroffen hatte.
Und nun stand der General auf einmal da, vor aller Augen, und noch dazu
in feierlicher Toilette, im Frack, und gerade zu einer Zeit, wo
Nastasja Filippowna nur eine Gelegenheit suchte, um ihn und seine
Angehörigen mit ihrem Spott zu überschütten. Denn daß dies ihre Absicht
war, davon war er überzeugt. Und in der Tat, welche andere Bedeutung
hätte ihr jetziger Besuch haben können? War sie gekommen, um mit seiner
Mutter und mit seiner Schwester Freundschaft zu schließen, oder um sie
in seinem eigenen Hause zu beleidigen? Aber nach der Haltung, welche
beide Parteien eingenommen hatten, war kein Zweifel mehr möglich: seine
Mutter und seine Schwester saßen

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