Der Idiot
Herrschaft über sich und holte mit aller Kraft gegen seine
Schwester aus. Der Schlag hätte sie sicherlich gerade ins Gesicht
getroffen. Aber plötzlich wurde Ganjas Hand durch eine andere im
Schwung festgehalten.
Zwischen ihm und seiner Schwester stand der Fürst.
»Hören Sie auf, es ist genug!« sagte er nachdrücklich, aber am ganzen Leibe wie von einer sehr heftigen Erschütterung zitternd.
»Wirst du mir denn immer im Weg sein?« brüllte Ganja, ließ Warjas
Hand los und versetzte in sinnloser Wut mit der freigewordenen Hand dem
Fürsten aus aller Kraft eine Ohrfeige.
»Oh, oh!« schrie Kolja und schlug die Hände zusammen. »Ach mein Gott!«
Von allen Seiten erschollen Ausrufe. Der Fürst war ganz blaß
geworden. Mit einem eigenartigen, vorwurfsvollen Blick sah er Ganja
gerade in die Augen; seine Lippen zitterten und strengten sich an,
etwas zu sagen; ein seltsames und ganz unmotiviertes Lächeln verzerrte
sie.
»Nun, wenn mir das auch widerfährt ... aber sie ... sie lasse ich nicht schlagen!« sagte er endlich leise.
Aber seine Empfindungen wurden doch zu mächtig; er wandte sich von
Ganja weg, verbarg das Gesicht in den Händen, ging in eine Ecke,
stellte sich mit dem Gesicht gegen die Wand und sagte mit fast
versagender Stimme: »Oh, wie werden Sie sich Ihres Benehmens schämen!«
Ganja stand in der Tat wie vernichtet da. Kolja stürzte auf den
Fürsten zu, um ihn zu umarmen und zu küssen. Nach ihm drängten sich
Rogoschin, Warja, Ptizyn, Nina Alexandrowna und alle andern heran,
selbst der alte Ardalion Alexandrowitsch.
»Es hat nichts auf sich, es hat nichts auf sich!« murmelte der Fürst
nach allen Seiten hin, immer noch mit demselben unmotivierten Lächeln.
»Und er wird es auch bereuen!« schrie Rogoschin. »Du wirst dich
schämen, Ganja, daß du ein solches ... Schaf« (er konnte kein andres
Wort finden) »beleidigt hast! Fürst, mein liebes Kerlchen, scher dich
nicht um diese Bande; laß sie und komm mit mir! Da wirst du sehen, wie
Rogoschin die Leute behandelt, die er gern hat.«
Auf Nastasja Filippowna hatten Ganjas Tat und die Antwort des
Fürsten ebenfalls einen tiefen Eindruck gemacht. Ihr meist blasses,
nachdenkliches Gesicht, das die ganze Zeit über mit dem bisherigen
gekünstelten Lachen nicht hatte harmonieren wollen, war jetzt
augenscheinlich von einem neuen Gefühl erregt; jedoch wollte sie's
nicht zeigen, und der spöttische Ausdruck bemühte sich gleichsam, auf
ihrem Gesicht zu verbleiben.
»Wirklich, ich habe dieses Gesicht schon irgendwo gesehen!« sagte
sie dann ernst, indem sie sich an ihre frühere Frage wieder erinnerte.
»Und Sie schämen sich auch nicht! Ist denn das Ihr wahres Wesen, wie
Sie sich jetzt geben? Wie wäre denn das möglich!« rief auf einmal der
Fürst im Tone ernsten, starken Vorwurfs.
Nastasja Filippowna war erstaunt; sie lächelte, aber nur als ob sie
etwas hinter dieser Miene zu verbergen suchte; dann richtete sie einen
etwas verlegenen Blick auf Ganja und verließ den Salon. Aber sie war
noch nicht zum Vorzimmer gelangt, als sie plötzlich umkehrte, schnell
an Nina Alexandrowna herantrat, ihre Hand ergriff und an ihre Lippen
führte.
»Ich bin ja wirklich nicht so; er hat es erraten«, flüsterte sie
rasch und leidenschaftlich, und eine dunkle Röte übergoß auf einmal ihr
ganzes Gesicht. Darauf kehrte sie um und ging diesmal so eilig hinaus,
daß sich niemand in der Geschwindigkeit darüber klarwerden konnte,
weshalb sie eigentlich zurückgekehrt war. Sie hatten nur gesehen, daß
sie Nina Alexandrowna etwas zugeflüstert und ihr, wie es schien, die
Hand geküßt hatte. Aber Warja hatte alles genau gesehen und gehört und
verfolgte sie erstaunt mit den Augen.
Ganja kam zur Besinnung und stürzte zu Nastasja Filippowna hin, um
sie hinauszubegleiten; aber sie war schon aus dem Zimmer. Er holte sie
auf der Treppe ein.
»Begleiten Sie mich nicht weiter!« rief sie ihm zu. »Auf Wiedersehen heute abend! Ich erwarte Sie bestimmt; hören Sie wohl?«
Verwirrt und nachdenklich ging er zurück; ein schweres Rätsel
lastete auf seiner Seele, mit noch schwererem Druck als bisher. Auch an
den Fürsten mußte er denken ... Er war bis zu dem Grade in seine
Gedanken vertieft, daß er kaum bemerkte, wie Rogoschins ganze Rotte,
die hinter ihrem Anführer her eilig die Wohnung verließ, sich an ihm
vorbeiwälzte und ihm in der Tür sogar ein paar Stöße versetzte. Alle
redeten laut miteinander über irgend etwas. Rogoschin selbst ging mit
Ptizyn und
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