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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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beherrschen und überließ sich einer hysterischen Anwandlung. Trotz aller Einwände ihres Gatten und ihrer Töchter ließ sie unverzüglich Aglaja rufen, um ihr die entscheidende Frage vorzulegen und von ihr eine klare, entscheidende Antwort zu erhalten. »Die ganze Geschichte soll mit einemmal ein Ende nehmen«, erklärte sie, »wir müssen die Last von den Schultern loswerden, so daß künftig gar nicht mehr davon gesprochen wird! Sonst erlebe ich diesen Abend nicht mehr!« Erst in diesem Augenblick merkten alle, wie unsinnig weit sie die Sache hatten kommen lassen. Aber außer gekünstelter Verwunderung und Entrüstung sowie spöttischem Lachen über den Fürsten und alle Fragenden war von Aglaja nichts zu erreichen. Lisaweta Prokofjewna legte sich ins Bett und erschien erst wieder zum Tee, zu der Zeit, als der Fürst erwartet wurde. Sie erwartete den Fürsten mit großer Unruhe, und als er erschien, bekam sie beinahe wieder einen hysterischen Anfall.
    Aber auch der Fürst selbst trat schüchtern ein, sozusagen tastend; er lächelte seltsam, blickte allen in die Augen und legte allen gewissermaßen eine Frage vor, weil Aglaja wieder nicht im Zimmer war, was ihn sofort beunruhigte. An diesem Abend war kein Fremder zugegen, sondern nur die Familienmitglieder. Fürst Schtsch. war noch in Petersburg wegen der Sache mit Jewgenij Pawlowitschs Onkel. ›Wenn doch wenigstens der da wäre und etwas redete!‹ dachte Lisaweta Prokofjewna bekümmert. Iwan Fjodorowitsch saß mit sehr sorgenvoller Miene da; die Schwestern waren ernsthaft und wie absichtlich schweigsam. Lisaweta Prokofjewna wußte nicht, womit sie ein Gespräch anfangen sollte. Endlich begann sie kräftig auf die Eisenbahn zu schimpfen und sah dabei den Fürsten herausfordernd an.
    O weh! Aglaja erschien immer noch nicht, und dem Fürsten sank der Mut. Stammelnd und verwirrt äußerte er die Meinung, daß Reparaturen der Strecke allerdings sehr nützlich sein würden, aber Adelaida brach plötzlich in ein Gelächter aus, und der Fürst war wieder wie vernichtet. In dem gleichen Augenblick trat Aglaja ein, ruhig und würdevoll; sie erwiderte steif die Verbeugung des Fürsten und setzte sich feierlich auf den sichtbarsten Platz an dem runden Tisch. Sie blickte den Fürsten fragend an. Alle sagten sich, daß nun alle unklaren Fragen ihre Entscheidung finden würden.
    »Haben Sie meinen Igel erhalten?« fragte sie ihn mit fester Stimme und beinah zornig.
    »Ja, ich habe ihn erhalten«, antwortete der Fürst errötend und in ängstlicher Spannung.
    »Sagen Sie unverzüglich, was Sie darüber denken! Das ist zur Beruhigung Mamas und unserer ganzen Familie unumgänglich notwendig.«
    »Hör mal, Aglaja...«, begann der General beunruhigt.
    »Das überschreitet ja alle Grenzen!« rief Lisaweta Prokofjewna erschrocken.
    »Von Grenzen ist hier gar nicht die Rede, maman«, antwortete die Tochter sofort in sehr ernstem Ton. »Ich habe heute dem Fürsten einen Igel geschickt und wünsche seine Meinung kennenzulernen. Nun, reden Sie, Fürst!«
    »Das heißt, was für eine Meinung, Aglaja Iwanowna?«
    »Ihre Meinung über den Igel.«
    »Das heißt... ich glaube, Aglaja Iwanowna, daß Sie wissen wollen, wie ich... den Igel aufgenommen habe... oder, besser gesagt, was ich über diese Zusendung... des Igels denke, das heißt... in diesem Fall nehme ich an, daß Sie... mit einem Wort...«
    Der Atem ging ihm aus, und er verstummte.
    »Nun, viel haben Sie gerade nicht gesagt«, bemerkte Aglaja, nachdem sie etwa fünf Sekunden gewartet hatte.
    »Nun gut, ich bin einverstanden, daß wir den Igel beiseite »Das habe ich doch gewußt, daß es nur ein Spaß war und weiter nichts!« rief Adelaida. »Von Anfang an, schon mit dem Igel!«
    »Nein, das kann ich nicht mehr dulden, das kann ich nicht mehr dulden!« rief Lisaweta Prokofjewna, in heftigem Zorn aufbrausend, und lief schnell hinter Aglaja her. Auch die Schwestern eilten sofort der Mutter nach. Im Zimmer blieben nur der Fürst und das Oberhaupt der Familie.
    »Das, das ist ja... kannst du dir so etwas vorstellen, Lew Nikolajitsch?« rief der General heftig; er wußte offenbar selbst nicht, was er sagen wollte. »Nein, im Ernst, sage im Ernst!«
    »Ich sehe, daß Aglaja Iwanowna sich über mich lustig gemacht hat«, antwortete der Fürst traurig.
    »Warte einen Augenblick, Bruder; ich will hingehen, und du wartest hier... denn... erkläre wenigstens du mir, Lew Nikolajitsch, wie das alles gekommen ist und was das alles sozusagen

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