Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
jeden Baum, hinter jeden Strauch. Nichts. Nirgendwo fand er Anzeichen eines Kampfs, der hohe neue Zaun war unbeschädigt, die Mauer wies keinen einzigen Kratzer auf. Die Männer von der gerichtsmedizinischen Abteilung würden Beweise finden-nein! Er dachte an polizeiliche Ermittlungen, doch was hier geschehen war, fiel nicht mehr in den Kompetenzbereich der Polizei. O’Reilly rannte zu seinem Wagen, sprang hinein, riß den Telefonhörer aus der Halterung und wählte. Erst jetzt merkte er, daß er in Schweiß gebadet war. Das Hemd klebte ihm wie ein kalter Umschlag am Körper.
»Büro des Kongreßabgeordneten Kendrick...«
»Laß mich reden, Annie«, sagte er hastig, »und stell keine Fragen...«
»Ich kenne diesen Tonfall, Paddy, deshalb muß ich eine Frage stellen: Geht es ihm gut?«
»Sein Wagen ist weg. Er ist nicht hier.«
»Aber andere sind es...«
»Keine Fragen mehr, Annie, aber ich habe eine für dich, und ich hoffe bei allen Heiligen, daß du sie beantworten kannst: Wer ist Kendricks Kontaktmann bei der CIA? Es muß jemand in einer sehr hohen Stellung sein...«
»Moment!« fiel Annie ihm ins Wort. »Natürlich ist da jemand. Ein Mann namens Payton. Vor ungefähr einem Monat sagte mir Evan, falls dieser Payton je anrufen sollte, müßte ich sofort durchstellen, und falls er nicht im Büro sei, müsse ich ihn suchen.«
»Und du bist sicher, daß dieser Payton bei der CIA ist?«
»Ja, das bin ich«, antwortete Ann O’Reilly. »Eines Morgens rief Evan mich aus Colorado an und sagte, er brauche die Nummer von Payton, und er beschrieb mir, wo in seinem Schreibtisch ich sie finden könne – in der untersten Schublade unter einem Scheckbuch. Die Vorwahl war die von Langley.«
»Ist die Nummer jetzt noch dort?«
»Ich sehe nach. Bleib dran.« Die Wartezeit von fast zwanzig Sekunden war für Patrick O’Reilly fast unerträglich und wurde durch den Anblick des strahlend hell erleuchteten Hauses hinter dem Tor noch verschlimmert. »Paddy?«
»Ja...«
»Ich hab’ sie.«
»Sag sie mir durch, aber schnell!« Sie diktierte sie ihm, und er sagte: »Bleib im Büro, bis ich anrufe oder dich abhole. Verstanden?« Das war ein Befehl.
»Gibt es einen besonderen Grund?«
»Ich weiß noch nicht, wie weit und in welche Richtung die ganze Sache läuft, und ich würde dich ganz gern noch ein Weilchen behalten.«
»O mein Gott!« flüsterte Ann.
Das hörte O’Reilly nicht mehr, er hatte die Verbindung unterbrochen und wählte die Nummer, die Ann ihm gegeben hatte. Nachdem es achtmal geklingelt hatte, meldete sich eine Frauenstimme. »Central Intelligence Agency, Mr. Paytons Büro.«
»Sind Sie seine Sekretärin?«
»Nein, Sir, hier ist der Empfang. Mr. Payton ist nicht hier und kommt heute auch nicht mehr zurück.«
»Hören Sie mir bitte zu«, sagte der Detective eindringlich. »Ich muß Mr. Payton unbedingt und sofort erreichen. Wie immer die Vorschriften lauten mögen, Sie müssen sie umgehen, verstehen Sie? Es handelt sich um einen Notfall.«
»Bitte identifizieren Sie sich, Sir.«
»Verdammt noch mal, ich will nicht, aber ich tu’s. Ich bin Lieutenant Patrick O’Reilly, Detective im Präsidium des Distrikts Columbia. Sie müssen Mr. Payton für mich finden!«
Plötzlich mischte sich eine männliche Stimme in das Gespräch. »O’Reilly?« sagte sie. »Wie O’Reilly, die Sekretärin eines gewissen Kongreßabgeordneten?«
»Genau die, Sir. Warum gehen Sie nicht an Ihr verdammtes Telefon – entschuldigen Sie, Sir...«
»Das ist der Hauptanschluß in meiner Wohnung, Mr. O’Reilly. Gehen Sie bitte aus der Leitung, Miß...«
»Sofort, Sir.« Es klickte.
»Ja, Mr. O’Reilly? Wir sind jetzt allein.«
»Ich nicht. Ich befinde mich in Gesellschaft von sechs Leichen...«
»Was?«
»Kommen Sie her, Mr. Payton. Zu Kendricks Haus. Und wenn Sie Schlagzeilen vermeiden wollen, pfeifen Sie die Wachablösung zurück, die eventuell hierher unterwegs ist.«
»Keine Sorge«, antwortete der Chef von Special Projects. »Die Ablösung kommt um Mitternacht; die Männer sind schon im Haus.«
»Sie sind auch tot. Sie sind alle tot.«
Mitchell Payton kauerte neben der Leiche des Wachpostens, die dem Tor am nächsten lag, und zuckte zusammen, als ihn der Lichtkegel von O’Reillys Taschenlampe traf. »Guter Gott, er war so jung. Sie sind alle so jung.«
»Sie waren es, Sir«, sagte O’Reilly tonlos. »Hier lebt niemand mehr, weder drinnen noch draußen. Ich habe die meisten Lichter wieder gelöscht, aber
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