Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
verlangt, daß der hinkende Junge mit der Hasenscharte immer in seiner Nähe blieb.
»Beim geringsten Anzeichen, daß wir in Gefangenschaft geraten könnten, schieße ich dir eine Kugel durch den Kopf, Kind. Hast du verstanden?«
»Das brauchst du nicht, Alter. Dann töte ich mich selbst. Mir ist ein ruhmreicher Tod viel lieber als mein elendes Leben.«
»Ich glaube dir, du junger Narr. Aber bitte denk immer an Asras Worte: ›Solange du am Leben bist, kannst du noch kämpfen, wenn du tot bist, nicht mehr.‹«
Asra, der als Märtyrer starb, hatte recht, dachte Abjad. Aber Asra hatte nicht an das größte aller Opfer gedacht, das alle wahren Gläubigen erstrebten – im Kampf zu sterben. Deshalb war die Dschihad so unempfindlich gegen Fallen, die man ihr stellte, unempfindlich selbst gegen den Tod. Und das gewitterschwüle Schweigen, das dem Überfall auf das Haus in Virginia folgte, und die Abwesenheit Yosefs und seiner Männer konnte nur eine Falle sein. Das war westliche Denkungsart: leugne, daß etwas geschehen ist, gib nichts zu, zwing die Jäger, weiterzusuchen, und lock sie in eine Falle. Es war so bedeutungslos. Wenn die Falle einem die Möglichkeit bot, den Feind zu töten, war es da noch wichtig, wenn man selbst dabei den Tod fand? Als
Märtyrer gingen sie der Seligkeit eines Glücks entgegen, das sie in diesem Leben nie gekannt hatten. Es gab für den Gläubigen keine größere Herrlichkeit, als Allahs Himmel mit dem Blut der Feinde an den Händen zu betreten, die er in einem gerechten Krieg getötet hatte.
»Meine Brüder«, begann der Weißhaarige, den vier Mitgliedern seines Kommandos in dem kleinen, schmutzigen Motelzimmer gegenüberstehend, »unsere Zeit ist gekommen, sie, auf die wir mit Entzücken im Herzen gewartet haben, da wir wissen, daß eine viel bessere Welt vor uns liegt, ein Himmel, in dem wir frei sein werden, weder Sklaven noch Faustpfand für andere, wie hier auf Erden. Wenn wir durch Allahs Gnade überleben, um weiterkämpfen zu können, werden wir unseren Brüdern und Schwestern den heiligen Tod der Rache nach Hause bringen, der uns von Rechts wegen gebührt. Und die Welt wird erfahren, daß wir es getan haben; wird erfahren, daß fünf heldenmütige Männer zwei Festungen erstürmt und alles Leben darin vernichtet haben – Festungen, die vom großen Feind errichtet wurden, um uns aufzuhalten. Jetzt müssen wir uns auf unsere Aufgabe vorbereiten. Zuerst mit Gebeten und dann mit praktischeren Dingen. Wir werden zuschlagen, wenn sie es am wenigsten erwarten, nicht nachts, sondern am hellen Tag. Bei Sonnenuntergang werden wir entweder die heilige Stunde von Salat el Maghreb feiern oder in Allahs Armen ruhen.«
Kurz nach zwölf Uhr mittags betrat Kalaila die Lounge des International Airport in San Diego. Sie merkte sofort, daß sie beobachtet wurde, vor allem, weil der Beobachter es nicht zu verbergen suchte. Der unauffällige übergewichtige Mann in einem ungebügelten, schlecht sitzenden Gabardineanzug aß Popcorn aus einem weißen Pappkarton. Er nickte einmal, drehte sich um und ging durch den breiten Korridor, in dem es von Menschen wimmelte, auf das Abfertigungsgebäude zu. Es war ein Signal. Kalaila hatte den Mann bald eingeholt, bremste ihren Eilschritt und ging neben ihm her.
»Ich nehme an, Sie haben nicht auf mich gewartet, um mich aufzureißen«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.
»Wenn ich das wollte, würden Sie jetzt auf den Knien liegen und mich anflehen, Sie nach Hause zu bringen, was ich wahrscheinlich ohnehin tun muß.«
»Ihre Bescheidenheit ist genauso unwiderstehlich wie Sie selbst.«
»Das sagt meine Frau auch, nur fügt sie noch ›Schönheit‹ hinzu.«
»Was gibt es?«
»Rufen Sie Langley an. Ich habe das Gefühl, daß die Hölle los ist, aber rufen Sie von einer Telefonzelle an, nicht aus meiner Wohnung – falls Sie in meine Wohnung wollen. Ich warte ein Stück weiter vorn; wenn wir ein Team sind, nicken Sie nur und folgen mir – natürlich in respektvollem Abstand.«
»Ich glaube, ich wüßte gern einen Namen. Irgendwas.«
»Versuchen Sie Shapoff.«
»Lebkuchen?« sagte Kalaila und musterte kurz den hochangesehenen Agenten, der bei der CIA schon zur Legende geworden war. »Ost-Berlin? Prag? Wien?...«
»Eigentlich«, fiel ihr der Mann im schäbigen Anzug ins Wort, »bin ich ein linkshändiger Zahnarzt aus Cleveland, der sich hauptsächlich mit Zahnregulierungen beschäftigt.«
»Ich glaube, ich hatte ein anderes Bild von Ihnen.«
»Deshalb
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