Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
der Außenwelt in Verbindung zu setzen oder zu fliehen. Zeit war jetzt alles.
Er näherte sich dem Dynamo und betrachtete aufmerksam das riesige Schwungrad, das ein Maschendrahtkorb vor Beschädigungen schützte. Da verschiedenen Generatorteilen immer Luft zugeführt werden mußte, hatte Kendrick gehofft, durch die Luftschlitze, so schmal sie auch waren, an das Schwungrad heranzukommen. Dazu hatte er die Machete mitgenommen. Seine Hoffnung hatte sich erfüllt. Und jetzt galt es: Entweder er schaffte es, oder es war sein Tod. Eine falsche Bewegung, und er ging in elektrischen Flammen auf. Und selbst wenn er dem Tod entging, konnte er durch die explodierenden grellweißen elektrischen Blitze erblinden, wenn er sich nicht rechtzeitig abwandte und die Augen fest zusammenkniff. Aber wenn er Glück hatte, wenn er alles richtig machte, mußte sich Crayton Grinell einen neuen Generator kaufen. Zeit – Zeit war vielleicht das letzte Geschenk, das er zu geben hatte.
Er zog die Machete aus dem Gürtel, und trotz des starken Luftzugs, den das Schwungrad erzeugte, strömte ihm der Schweiß übers Gesicht. Zentimeter für Zentimeter führte er die Machete an den horizontalen Luftschlitz heran... Riß sie dann wieder zurück. Ihm zitterten die Hände, er mußte ruhiger werden, er durfte mit dem Rand des schmalen Schlitzes nicht in Berührung kommen. Er versuchte es wieder, schob die Machete ein paar Zentimeter hinein, dann noch ein paar und noch ein paar, und schließlich rammte er die schwere Klinge bis ans Heft hinein und riß die Hände weg, bevor die Klinge das Rad berührte. Dann sprang er zurück, warf sich zu Boden und vergrub Gesicht und Hände unter den Armen. Die elektrischen Detonationen waren laut genug, um ein ungeschütztes Trommelfell zu zerreißen, und obwohl er die Augen fest geschlossen hatte, sah er überall grellweiße Blitze. Das Schwungrad drehte sich weiter. Es fraß die stählerne Klinge gewissermaßen auf und spie währenddessen elektrische Funken aus – einen ganzen Funkenregen, der den Drahtzaun unter Strom setzte.
Kendrick rappelte sich hoch, schirmte die Augen mit der Hand ab und ging, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend,
zum Transformator. Unterwegs hob er die Baumsäge auf, die er vorher abgelegt hatte, und machte sich daran, das isolierte Nebenwiderstandskabel durchzusägen. Als er das Gefühl hatte, nur noch Millimeter von den Kupferdrähten entfernt zu sein, überzeugte er sich, daß die Gummigriffe der Baumsäge unbeschädigt waren, und begann dann in seiner Verzweiflung die bösartig aussehenden Sägezähne ohne Rücksicht auf sich selbst hin- und herzuziehen, bis er einen elektrischen Schlag bekam, der ihn umriß. Die ausziehbaren Griffe der Metallsäge fielen in den Maschendrahtzaun und blieben darin hängen. Der ganze Generatorenkomplex spielte jetzt verrückt, als wären die ihm innewohnenden Kräfte wütend auf den Menschen, der es wagte, dieses von ihm erdachte Wunderwerk zu zerstören. Überall gingen die Lichter aus, nur innerhalb der tödlichen Umzäunung blitzte und sprühte es, hüpften elektrische Funken wie Leuchtspuren von Geschossen über den Boden. Er mußte hinaus!
Auf dem Bauch kriechend, sich auf Armen und Beinen vorwärts schiebend wie eine hurtige Spinne, erreichte er, den Lichtkegel der Taschenlampe als Leitstrahl benutzend, das Loch im Zaun und schob sich durch. Als er aufstand, warf Emilio ihm das Gewehr zu.
»Streichhölzer!« schrie Kendrick, der an seine eigenen nicht herankam. Emilio gab ihm eine Handvoll und richtete dann die Taschenlampe auf das letzte Geschirrtuch. Hinkend lief Kendrick zu seiner Lunte, ging in die Hocke und strich an einem Stein ein halbes Dutzend Streichhölzer an. Als sie brannten, warf er sie auf das Geschirrtuch. Es fing Feuer, und die Flamme begann langsam und unbarmherzig ihre todbringende Wanderung.
»Beeilen Sie sich!« rief Emilio, half Kendrick auf die Beine und führte ihn nicht auf den Weg, der in die unbefestigte Straße mündete, sondern in den Gürtel hohen Grases unterhalb des Weges. »Aus dem Haus kommen sie schon heruntergelaufen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Pronto , Senor.«
Mit einem Hechtsprung ins Gras erreichten sie gerade noch rechtzeitig ihr Versteck. Denn schon stürmte ein ganzer Schwarm erschrockener und völlig kopfloser Männer auf den noch immer grellweiße Funken und Blitze um sich streuenden Generator zu. Sie hielten sich die Hände vor die Augen und schrien wild und sinnlos durcheinander.
Weitere Kostenlose Bücher