Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
den Dissidenten mit so etwas zu kommen, die Tag für Tag dafür sorgen, daß die dunklen Winkel der Kremlpolitik etwas heller beleuchtet werden. Diese Menschen bewirken tatsächlich etwas, Herr Doktor.«
»Exzesse!« rief Winters. »Überall auf diesem armen, todgeweihten Planeten gibt es Exzesse. Wir werden daran zugrunde gehen.«
»Nicht wenn vernünftige Menschen die Exzesse anprangern, statt in Massenhysterie zu verfallen. Vielleicht war Ihr Ziel richtig, aber auch Sie sind bis zum Exzeß gegangen, haben gegen Gesetze verstoßen – geschriebene wie ungeschriebene – und haben den Tod von unschuldigen Menschen verursacht, weil Sie glaubten, daß Sie über dem Gesetz stehen. Statt der Nation zu sagen, was Sie wußten, haben Sie es vorgezogen, sie zu manipulieren.«
»Davon sind Sie überzeugt?«
»Das bin ich. Wer sind die anderen bei Inver Brass?«
»Sie kennen diesen Namen?«
»Ich habe ihn eben ausgesprochen. Wer sind die anderen?«
»Das werden Sie von mir niemals erfahren.«
»Wir werden sie finden – eines Tages. Aber aus reiner Neugierde wüßte ich gern, wo diese Organisation ihren Anfang genommen hat. Wenn Sie mir jetzt nicht antworten wollen, tut das noch nichts zur Sache.«
»Aber ich will ja antworten«, sagte der alte Historiker und verschränkte die dünnen, zitternden Hände auf der Tischplatte ineinander. »Inver Brass entstand vor Jahrzehnten, als die Nation auseinandergerissen wurde, am Rande der Selbstzerstörung stand. Ein Chaos. Das war auf dem Höhepunkt der Depression; das Land war am Ende, und überall herrschte Gewalt.
Hungrige Menschen fangen wenig an mit leeren Parolen und noch leereren Versprechungen, und produktiven Menschen, die ihren Stolz ohne eigenes Verschulden verloren haben, bleibt nur noch die Wut... Inver Brass wurde von einer kleinen Gruppe reicher, einflußreicher Leute gegründet, die sich an den Rat von Wirtschaftswissenschaftlern wie Baruch gehalten und den Zusammenbruch der Wirtschaft unbeschadet überstanden hatten. Diese Leute hatten außerdem ein soziales Gewissen, und sie setzten ihre Mittel auch praktisch ein. Sie verhinderten Aufstände und Gewalttaten, indem sie nicht nur die Krisengebiete massiv mit Geld und Hilfsgütern unterstützten, sondern auch, indem sie stillschweigend dazu beitrugen, daß der Kongreß Gesetze verabschiedete, die Erleichterung schufen. Wir folgen dieser Tradition.«
»Wirklich?« fragte Payton ruhig und musterte den alten Mann mit kalten Augen.
»Ja«, gab Winters mit Nachdruck zur Antwort.
»Inver Brass... Was bedeutet das?«
»So heißt ein See in den schottischen Sümpfen, der auf keiner Landkarte vorkommt. Den Namen hat der erste Sprecher geprägt, ein Bankier schottischer Abstammung, dem klar war, daß die Gruppe heimlich tätig werden mußte.«
»Und deshalb niemandem Rechenschaft schuldig war?«
»Ich wiederhole. Wir wollen nichts für uns selbst!«
»Und wozu dann die Heimlichtuerei?«
»Das ist nötig, denn obwohl unsere Entscheidungen zum Wohl des Landes getroffen werden, sind sie nicht immer angenehm und manchmal, in den Augen vieler, auch durch nichts zu rechtfertigen. Aber sie wurden zum Wohl der Nation getroffen.«
»Und sind sie auch zu rechtfertigen?«
»Ich werde Ihnen ein Beispiel nennen. Vor Jahren waren unsere unmittelbaren Vorgänger mit einem Tyrannen in der Regierung konfrontiert, der die Gesetze unseres Landes ummodeln wollte. Der Mann hieß John Edgar Hoover, ein Gigant, der auf seine alten Tage größenwahnsinnig wurde, über die Grenzen der Vernunft längst hinaus war und Präsidenten und Senatoren – anständige Männer-mit seinem Aktenmaterial erpreßte, einem Haufen Klatsch und Andeutungen. Inver Brass sorgte dafür, daß er ausgeschaltet wurde, bevor er die Exekutive und die Legislative, die ganze Regierung, in die Knie zwingen
konnte. Und dann tauchte ein junger Schriftsteller namens Peter Chancellor auf und kam der Wahrheit ziemlich nahe. Es lag an ihm und seinem unerträglichen Manuskript, daß Inver Brass sich auflösen mußte – aber unsere Auferstehung konnte er nicht verhindern.«
»Großer Gott im Himmel«, brach es leise aus dem Leiter von Special Projects hervor. »Einzig und allein Sie entscheiden über Gut und Böse, Sie allein richten. Was für ein Abgrund an Arroganz.«
»Das ist ungerecht! Es gab keine andere Lösung. Sie irren sich!«
»Es ist die Wahrheit.« Payton stand auf und stieß den Sessel zurück. »Ich habe nichts mehr zu sagen, Herr Dr. Winters. Ich gehe
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