Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
jetzt.«
»Was werden Sie tun?«
»Was getan werden muß. Ich werde einen Bericht für den Präsidenten erstellen, für den Generalbundesanwalt und für die zuständigen Ausschüsse im Kongreß. Wie es den Gesetzen entspricht... Sie sind aus dem Geschäft, Herr Doktor. Und machen Sie sich nicht die Mühe, mich zur Tür zu bringen, ich finde mich schon zurecht.«
Payton trat hinaus in die kalte, graue Morgenluft. Er atmete tief durch, wollte die Lunge füllen, aber es gelang ihm nicht. Zuviel Müdigkeit, zuviel Trauriges und Empörendes – und das am Heiligen Abend. Er ging die Treppe hinunter, auf seinen Wagen zu, als plötzlich ein lauter Knall das Grundstück erbeben ließ – ein Schuß. Paytons Fahrer sprang aus dem Wagen, ging auf der Auffahrt in die Knie, die Waffe in beiden Händen.
MJ schüttelte langsam den Kopf und ging weiter auf die Hintertür des Wagens zu. Er war völlig leer. Er hatte keine Kraftreserven mehr; die Erschöpfung war total. Und es war jetzt auch nicht mehr wichtig, daß er nach Kalifornien flog. Inver Brass war am Ende, der Leiter tot, gestorben von eigener Hand. Ohne das Ansehen und die Autorität von Samuel Winters war die Organisation ein Scherbenhaufen, und wie er gestorben war, würde den anderen den Zusammenbruch deutlich machen... Evan Kendrick? Er mußte die ganze Geschichte erfahren, alle Aspekte, und sich selbst eine Meinung bilden. Aber das hatte
Zeit – mindestens einen Tag lang. Als ihm der Fahrer die Tür aufhielt, konnte MJ nur noch daran denken, daß er nach Hause wollte, mehr trinken, als ihm guttat, und dann nur noch schlafen.
»Mr. Payton«, sagte der Fahrer, »für Sie ist ein dringender Funkspruch gekommen.«
»Wie lautet der?«
›»San Jacinto erreichen. Dringend.‹«
»Bringen Sie mich bitte nach Langley zurück.«
"Ja, Sir.«
»Und falls ich’s vergessen sollte – fröhliche Weihnachten.«
»Danke, Sir.«
44
»Wir schauen mindestens jede Stunde nach ihm, Miß Raschad«, sagte die Schwester von der Navy, eine Frau in den mittleren Jahren. »Sie können sich darauf verlassen... Haben Sie gewußt, daß der Präsident persönlich den Herrn Abgeordneten heute nachmittag angerufen hat?«
»Ja, ich war dabei. Und wo wir gerade über das Telefonieren reden – in sein Zimmer dürfen keine Anrufe durchgestellt werden.«
»Das wissen wir. Hier ist die Notiz. Alle Telefonisten in der Zentrale haben eine Kopie bekommen. Allen Anrufern soll ausgerichtet werden, daß sie sich an Sie im Westlake Hotel wenden sollen.«
»Ja, richtig. Vielen Dank.«
»Es ist ein Jammer, nicht wahr? Es ist Heiliger Abend, und statt mit Freunden zu feiern und Weihnachtslieder zu singen oder was auch immer, liegt er bandagiert im Krankenhaus, und Sie sitzen ganz allein im Hotel.«
»Ich will Ihnen mal was sagen, Schwester. Daß er hier ist und noch lebt, macht dieses Weihnachten zum schönsten Fest, das ich mir je erhofft habe.«
»Ich weiß, meine Liebe. Ich habe Sie zusammen gesehen.«
»Passen Sie gut auf ihn auf. Wenn ich nicht ein bißchen Schlaf bekomme, wird er mich morgen früh für alles andere als ein Geschenk halten.«
»Er ist unser Patient Nummer eins. Und Sie ruhen sich erst mal aus, junge Frau. Sie sehen ein bißchen eingefallen aus, und das ist eine medizinische Diagnose.«
»Ich bin ein totales Wrack.«
»In meinen besten Tagen wäre ich gern ein solches Wrack gewesen.«
»Sie sind lieb«, sagte Kalaila, legte die Hand auf den Arm der Schwester und drückte ihn. »Gute Nacht. Bis morgen.«
»Fröhliche Weihnachten, meine Liebe.«
»Das brauchen Sie mir gar nicht mehr zu wünschen. Auch Ihnen ein frohes Fest.« Kalaila ging den weißen Flur entlang auf die Aufzüge zu und drückte den Abwärtsknopf. Es stimmte, daß sie dringend Schlaf brauchte; bis auf zwanzig Minuten, in denen sie und Evan kurz eingenickt waren, hatte sie in den letzten achtundvierzig Stunden kein Auge zugetan. Eine warme Dusche, eine warme Mahlzeit vom Zimmer-Service und dann ins Bett; so sahen ihre Pläne für den Abend aus. Morgen früh würde sie in einem der Läden, die geöffnet hatten, damit herumirrende Kunden im letzten Augenblick noch ein vergessenes Geschenk kaufen konnten, ein paar Kinkerlitzchen besorgen für ihren... Ihren was? Großer Gott, dachte sie. Für meinen Verlobten. Es war zuviel auf einmal.
Wie seltsam war es doch, daß zu Weihnachten unweigerlich die sanften, freundlichen Züge der menschlichen Natur zum Vorschein kamen – ganz unabhängig von der
Weitere Kostenlose Bücher