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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Guadalupe, die von ganz Mexiko verehrt wird. Ihre Haut? Habt ihr ihre Bilder betrachtet? Eine dunkle Haut, wie die ihrer Anbeter. Ist das Blasphemie? Nicht im geringsten. Es entbehrt der Logik, daß Menschen einen Gott anderer Hautfarbe akzeptieren sollten, ganz gleich, wie wahr er ist. Ich wundere mich oft darüber, daß unsere Missionare in Afrika mit einem schneeweißen Christus Erfolg haben. Vielleicht, weil Weiß im Albino oder in irgendeiner anderen Form für die afrikanischen Stämme eine heilige Farbe ist. Doch vielleicht wird Christus auch dort in absehbarer Zeit eine dunkle Hautfarbe annehmen? Das Äußere spielt keine Rolle. Der Inhalt der Form ist alles. Wir können von diesen Marsbewohnern nicht erwarten, daß sie eine fremde Form akzeptieren. Wir werden ihnen Christus in ihrem Ebenbild bringen.«
    »In Ihrer Rechnung ist ein Fehler«, sagte Pater Stone. »Werden die Marsbewohner uns nicht der Heuchelei verdächtigen? Sie werden merken, daß wir nicht einen runden, kugelförmigen Christus anbeten, sondern einen Menschen mit Kopf und Gliedern. Wie werden wir ihnen den Unterschied erklären?«
    »Indem wir ihnen zeigen, daß es keinen gibt. Christus wird jedes Gefäß erfüllen, das man ihm bietet. Menschliche Körper oder Kugeln, er wohnt in ihnen, und jeder betet das gleiche in einer anderen Verkleidung an. Allerdings müssen wir an diese Kugel glauben , die wir den Marsbewohnern geben. Wir müssen an eine Form glauben, die als Gestalt für uns bedeutungslos ist. Diese Glaskugel wird Christus sein. Und wir müssen immer daran denken, daß wir selbst und die Gestalt unseres irdischen Christus diesen Marsbewohnern bedeutungslos und lächerlich erscheinen müßten, ja geradezu eine Verschwendung ungeeigneten Materials darstellen würde.«
    Pater Peregrine legte seine Kreide beiseite. »Und jetzt wollen wir in die Berge ziehen und unsere Kirche bauen.«
    Die Patres begannen, ihre Ausrüstung zusammenzupacken.
     
    Die Kirche war keine Kirche im eigentlichen Sinne, sondern ein von Felsbrocken geräumter Platz auf der flachen Kuppe eines niedrigen Berges, dessen Boden sie geglättet und gefegt hatten, und auf dem sie einen Altar mit der von Bruder Matthias konstruierten leuchtenden Kugel errichtet hatten.
    Nach sechs Arbeitstagen war die ›Kirche‹ fertig.
    »Was wollen wir damit anfangen?« Pater Stone klopfte gegen eine eiserne Glocke, die sie mitgebracht hatten. »Was soll eine Glocke für sie bedeuten?«
    »Ich glaube, ich habe sie uns zum Trost mitgebracht«, gestand Pater Peregrine. »Wir brauchen ein paar vertraute Dinge. Diese Kirche gleicht so wenig einer richtigen Kirche. Und wir kommen uns hier etwas albern vor – selbst ich, es ist noch ein wenig neu für uns, diese Aufgabe, die Geschöpfe einer fremden Welt zu bekehren. Manchmal komme ich mir wie ein Komödienschauspieler vor. Und dann bete ich zu Gott, er möge mir Kraft verleihen.«
    »Viele der Patres sind unglücklich. Manche machen Witze über diese ganze Sache, Pater Peregrine.«
    »Ich weiß. Zu ihrem Trost werden wir für die Glocke einen kleinen Turm errichten.«
    »Und was geschieht mit der Orgel?«
    »Wir werden sie bei unserem ersten Gottesdienst spielen.«
    »Aber die Marsbewohner ...«
    »Ich weiß. Auch hier gilt wohl wieder: unsere Musik uns zum Trost. Später werden wir vielleicht ihre entdecken.«
    Am Sonntagmorgen standen sie sehr früh auf; wie blasse Phantome bewegten sie sich durch die kalte Luft, Reif blitzte an ihren Gewändern wie winzige Glöckchen, die sich in Schauern silbrigen Wassers auflösten und zu Boden sprühten.
    »Ob es wohl hier auf dem Mars auch Sonntag ist?« grübelte Pater Peregrine. Doch als er Pater Stone zusammenzucken sah, fuhr er rasch fort: »Es könnte ja Dienstag oder Donnerstag sein, wer weiß? Aber das spielt keine Rolle. Es war nur so ein Einfall von mir. Für uns ist es Sonntag. Kommen Sie.«
    Die Patres traten in den ebenen, weiten Raum der ›Kirche‹ und knieten nieder, fröstelnd und mit blauen Lippen.
    Pater Peregrine sprach ein kurzes Gebet und legte seine kalten Finger auf die Tasten der Orgel. Die Töne stiegen empor wie eine Schar schöner Vögel. Seine Hände wirkten Wunder auf den Tasten und ließen Klänge von herrlicher Schönheit erblühen.
    Die Musik trieb in die Berge und schüttelte Steinstaub wie Regen von den Felswänden.
    Die Patres warteten.
    »Nun, Pater Peregrine?« Pater Stones Augen suchten den leeren Himmel ab, an dem die Sonne rotglühend aufzusteigen begann.

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