Der illustrierte Mann
Menschenähnlichkeit beweisen, wenn sie sich in den hohen Gewölben des Himmels verbargen? Wie sie näher heranholen und Antworten auf die vielen Fragen erhalten?
›Sie haben uns vor der Steinlawine gerettet.‹
Pater Peregrine erhob sich, schritt zwischen den Felsbrocken hindurch und begann die nächste Erhebung zu erklimmen, bis er an eine Stelle kam, wo eine überhängende Klippe den Blick in einen schroffen, sechzig Meter tiefen Abgrund freigab. Die Luft war ihm von dem anstrengenden Klettern in der morgendlichen Kühle knapp geworden. Nach Atem ringend, blieb er stehen.
›Wenn ich hier herunterfiele, würde ich gewiß sterben müssen.‹
Er ließ einen Kiesel fallen. Einen Augenblick später hörte er ihn auf den Felsboden prallen.
›Der Herr würde mir nie vergeben.‹
Er warf einen zweiten Kiesel.
›Vielleicht wäre es kein Selbstmord, wenn ich es aus Liebe täte ...?‹
Er hob den Blick zu den blauen Kugeln. ›Doch vorher will ich es noch einmal versuchen.‹ Er rief zu ihnen empor: »Hallo, hallo!«
Ein vielfältiges Echo kam zurück, doch die blauen Feuer regten und bewegten sich nicht.
Fünf Minuten lang sprach er zu ihnen. Danach blickte er zurück und sah Pater Stone, der immer noch empörend friedlich dort unten auf ihrem kleinen Lagerplatz schlief.
›Ich muß alles hiermit beweisen.‹ Pater Peregrine trat an die steil abfallende Kante. ›Ich bin ein alter Mann. Ich habe keine Angst. Gewiß wird der Herr mich verstehen, daß ich dies nur für ihn tue?‹
Er tat einen tiefen Atemzug. Sein ganzes Leben glitt an seinen Augen vorbei, und er dachte: werde ich im nächsten Augenblick tot sein? Ich fürchte, ich liebe das Leben viel zu sehr. Aber ich liebe andere Dinge noch mehr.
Und mit diesem Gedanken ließ er sich von dem Vorsprung fallen.
Er stürzte.
»Narr!« schrie er, während er sich in rasendem Fall überschlug. »Du hast dich geirrt!« Der Abgrund stürzte ihm entgegen, und er sah sich bereits zerschmettert und gestorben. »Warum habe ich dies nur getan?« Aber er wußte die Antwort und hatte im nächsten Augenblick seinen Frieden wiedergefunden, während er weiterstürzte. Der Wind umbrauste ihn, und die Felsen wirbelten ihm entgegen.
Doch plötzlich schienen sich wieder die Sterne zu drehen, ein blauer Lichtschimmer umfing ihn, er fühlte sich schweben. Einen Moment später wurde er mit sanftem Plumps auf den Felsboden gesetzt, wo er eine ganze Weile sitzenblieb und zu den blauen Lichtern aufblickte, die sich augenblicklich zurückgezogen hatten. »Ihr habt mich gerettet!« flüsterte er. »Ihr wolltet mich nicht sterben lassen. Ihr wußtet, daß ich fehlte.«
Er eilte zu Pater Stone hinüber, der immer noch in friedlichem Schlummer lag. »Pater, Pater! Wachen Sie auf!« Er schüttelte ihn und machte ihn munter. »Pater, sie haben mich gerettet!«
»Wer hat Sie gerettet?« Pater Stone richtete sich auf.
Pater Peregrine berichtete sein Erlebnis.
»Ein Traum, ein Alpdruck; legen Sie sich wieder schlafen«, sagte Pater Stone gereizt. »Sie und Ihre Zirkusballons!«
»Aber ich war hellwach!«
»Aber, aber, Pater, beruhigen Sie sich. Kommen Sie zu sich.«
»Sie glauben mir nicht? Haben Sie eine Pistole? Ja, dort, geben Sie her.«
»Was wollen Sie tun?« Pater Stone reichte ihm die kleine Pistole die sie mitgenommen hatten, um sich gegen Schlangen oder gegen andere ähnliche und unbekannte Tiere zu schützen.
Pater Peregrine ergriff die Pistole. »Ich werde es beweisen!«
Er richtete die Pistole auf seine Hand und feuerte.
»Halt!«
Ein Lichtschimmer glänzte auf, und vor ihren Augen blieb die Kugel vor seiner ausgestreckten Hand ein paar Zentimeter in der Luft stehen. Sie hing eine Sekunde lang, von einem blauen Schein umgeben, bewegungslos in der Luft. Dann fiel sie zischend in den Staub.
Pater Peregrine feuerte die Pistole dreimal ab – auf seine Hand, auf sein Bein, auf seinen Körper. Alle drei Kugeln blieben funkelnd in der Luft hängen und fielen dann wie tote Insekten zu Boden.
»Sehen Sie?« sagte Pater Peregrine, ließ seinen Arm sinken, öffnete die Hand und ließ die Pistole zu den Kugeln fallen. »Es sind keine Tiere. Sie besitzen Erkenntnis und Verstand. Sie denken und urteilen und leben in einer Welt moralischer Werte. Welches Tier würde mich auf diese Weise vor mir selbst retten? Es gibt kein Tier, das so etwas tun würde. Nur ein anderer Mensch Pater. Sind Sie jetzt überzeugt?«
Pater Stone beobachtete unterdes den Himmel und die blauen Lichter,
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