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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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ich für den Rest meines Lebens immer hin und her fahren, wie ein Weberschiffchen.«
    »Hast du darüber schon einmal mit dem Psychiater gesprochen?«
    »Damit er versuchen kann, die Lücken für mich zu schließen die Löcher mit Lärm und warmem Wasser und Worten zu füllen mich mit seinen Händen abzutasten und all das? Nein, vielen Dank.« Hitchcock unterbrach sich. »Es wird schlimmer mit mir, nicht wahr? Ich dachte es mir. Als ich heute morgen aufwachte dachte ich, es wird schlimmer mit mir. Oder ist es besser geworden?« Er stutzte wieder und schielte mit einem Auge nach Clemens. »Bist du da? Bist du wirklich da? Los, beweise es mir.«
    Clemens schlug ihm hart auf den Arm.
    »Ja«, sagte Hitchcock seinen Arm reibend, ihn gründlich betrachtend und nachdenklich eine Weile massierend. »Du warst da. Für den kurzen Bruchteil eines Augenblicks. Aber ich weiß nicht ob du – jetzt da bist.«
    »Bis nachher«, sagte Clemens. Er war bereits auf dem Weg zum Arzt. Er ließ Hitchcock stehen.
     
    Eine Alarmglocke läutete. Zwei Glocken, drei Glocken läuteten. Das Schiff schwankte, als habe eine riesige Hand es geschlagen. Ein saugendes Geräusch ertönte, als sei ein Staubsauger angestellt worden. Clemens hörte Schreie und fühlte, wie die Luft dünner wurde. Die Luft zischte an seinen Ohren vorbei. Plötzlich war nichts mehr in seiner Nase und in seinen Lungen. Er taumelte und dann hörte das Zischen plötzlich wieder auf.
    Er hörte jemand schreien: »Ein Meteor!« Jemand anders sagte:
    »Bereits abgedichtet!« Und das stimmte. Die ›Spinne‹, ein um die Außenhaut des Schiffes laufender Reparatur-Roboter für derartige Notfälle, hatte das Loch bereits mit einer Metallplatte elektrisch dicht geschweißt.
    Irgend jemand in einiger Entfernung redete und redete und begann dann zu schreien. Clemens rannte den Korridor entlang durch die frisch einströmende, dicker werdende Luft. Als er um die Ecke bog und durch ein Schott stieg, sah er das soeben versiegelte Loch in der Stahlwand. Er sah die Bruchstücke des Meteors wie Teile eines Spielzeugs auf dem Boden des Raumes herumliegen. Er sah den Kommandanten und Angehörige der Mannschaft um einen am Boden liegenden Mann herumstehen. Es war Hitchcock. Er hatte die Augen geschlossen und weinte. »Er hat mich zu töten versucht«, sagte er wieder und wieder. »Er hat mich zu töten versucht.« Sie halfen ihm auf die Füße. »Das kann nicht sein«, sagte Hitchcock. »So etwas darf sich nicht ereignen. Solche Dinge können einfach nicht geschehen, nicht wahr? Er schlug hier durch, weil er mich treffen wollte. Warum?«
    »Ist ja gut, Hitchcock, ist ja gut«, sagte der Kapitän.
    Der Arzt verband einen kleinen Schnitt an Hitchcocks Arm. Mit bleichem Gesicht blickte Hitchcock auf und sah Clemens in die Augen. »Er hat mich zu töten versucht«, sagte er.
    »Ich weiß«, erwiderte Clemens.
     
    Siebzehn Stunden verstrichen. Das Schiff glitt weiter im Raum. Clemens trat durch ein Schott und wartete. Der Psychiater und der Kapitän waren da. Hitchcock saß auf dem Fußboden, die Beine an die Brust gezogen und die Arme fest darum geschlungen.
    »Hitchcock«, sagte der Kapitän.
    Keine Antwort.
    »Hitchcock, hören Sie mir zu«, sagte der Psychiater.
    Sie wandten sich an Clemens. »Sie sind sein Freund?«
    »Ja.«
    »Wollen Sie uns helfen?«
    »Wenn ich kann.«
    »Dieser verdammte Meteor ist schuld daran«, sagte der Kapitän. »Wenn das nicht passiert wäre, würde er jetzt nicht hier sitzen.«
    »Früher oder später würde es ihm auch ohne den Meteor so ergangen sein«, meinte der Arzt. Und zu Clemens sagte er leise: »Sie können jetzt zu ihm sprechen.«
    Clemens trat ruhig zu Hitchcock, kauerte sich neben ihn hin, schüttelte sachte seinen Arm und begann leise zu rufen: »He du, Hitchcock.«
    »He, ich bin's. Ich, Clemens«, sagte Clemens. »Sieh, ich bin da.«
    Keine Antwort.
    Er versetzte ihm einen leichten Schlag auf den Arm. Er massierte ihm behutsam den steifen Nacken und strich ihm über den vornüber gebeugten Kopf. Er warf dem Psychiater, der ganz leise seufzte, einen Blick zu. Der Kapitän zuckte mit den Schultern.
    »Schockbehandlung, Doktor?«
    Der Psychiater nickte. »In einer Stunde fangen wir an.«
    Ja, dachte Clemens, Schockbehandlung. Spielt ihm ein Dutzend Jazzplatten vor, wedelt eine Flasche mit grünem Chlorophyll und ein Bund Löwenzahn um seine Nase herum, legt ihm eine Grasmatte unter die Füße, sprüht Chanel in die Luft, schneidet ihm die Haare,

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