Der illustrierte Mann
Blauen Engel‹ würde auf den Mars verpflanzt sein. Das Spielkasino ›Zur Antiken Stadt‹, an Ort und Stelle aufgebaut. Neonreklamen, jagende Automobile in den Straßen der alten Städte und Picknick-Parties in den ehrwürdigen Friedhöfen der Ahnen – alles, alles.
Doch noch war es nicht so weit. In wenigen Tagen konnte er zu Hause sein. Tylla wartete mit dem Sohn auf ihn, und die letzten paar Jahre, solange das geruhsame Leben noch dauerte, konnte er mit seiner Frau am Rande des Kanals sitzen, das herrliche Wetter und seine guten Bücher genießen, einen köstlichen, leichten Wein schlürfen, sich mit Tylla unterhalten und die kurze Zeit auskosten, bis das sinnverwirrende Neondurcheinander vom Himmel fiel.
Und dann konnten er und Tylla vielleicht in die blauen Berge ziehen und sich dort weitere ein oder zwei Jahre verbergen, bis die Touristen auch dort aufkreuzten, mit ihren Photoapparaten klickten und sich gegenseitig versicherten, wie wunderlich es doch hier sei.
Er wußte genau, was er Tylla erzählen würde: ›Krieg ist eine schlimme Sache – aber Frieden kann ein Schrecken ohne Ende sein.‹
Er stand in der Mitte der breiten Allee.
Als er sich umdrehte, überraschte es ihn nicht, daß ein Auto auf ihn zuraste, ein ganzer Wagen voller schreiender Halbwüchsiger. Die Jungen und Mädchen, keines der Kinder älter als sechzehn, brausten wild kurvend und schleudernd mit ihren offenen Wagen die Allee hinunter. Er sah, wie sie auf ihn zeigten und schrien. Er hörte den Motor aufheulen. Das Auto sauste mit neunzig Stundenkilometern auf ihn zu.
Er begann zu rennen.
Ach ja, dachte er müde, als der Wagen über ihm war, wie sonderbar, wie traurig; es klingt so sehr wie ... ein Zementmixer.
Marionetten, e. V.
Gegen zehn Uhr abends schlenderten sie die Straße hinunter und plauderten miteinander. Sie waren beide ungefähr fünfunddreißig Jahre alt und beide bemerkenswert nüchtern.
»Aber warum nur so früh?« fragte Smith.
»Ich kann nicht anders«, erwiderte Braling.
»Seit Jahren ist es das erste Mal, daß du ausgehst, und dann willst du um zehn Uhr nach Hause!«
»Ich hab' keine Ruhe mehr«, meinte Braling.
»Ich wundere mich nur, wie du es überhaupt fertiggebracht hast. Seit zehn Jahren versuche ich nun, zu einem ruhigen kleinen Umtrunk zu entwischen. Und heute, wo wir es beide zum erstenmal geschafft haben, willst du unbedingt früh nach Hause.«
»Darf mein Glück nicht in Versuchung führen«, sagte Braling.
»Wie hast du's gemacht, deiner Frau Schlafpulver in den Kaffee getan?«
»Nein, das wäre unmoralisch. Du wirst's schon früh genug sehn.«
Sie gingen um eine Ecke. »Ehrlich, Braling, ich sag's nicht gern, aber du hast wirklich viel Geduld mit ihr gehabt. Du brauchst es mir nicht zu bestätigen, aber die Ehe ist für dich bisher schrecklich gewesen, nicht wahr?«
»So würde ich es eigentlich nicht ausdrücken.«
»Jedenfalls hat es sich da und dort herumgesprochen, wie sie dich zur Heirat gezwungen hat. Damals 1979, als du nach Rio fahren wolltest ...«
»Ach ja, Rio! So viele Pläne, und doch bin ich nie hingekommen.«
»Und wie sie ihre Kleider zerrissen, sich die Haare gerauft und gedroht hat, die Polizei zu rufen, wenn du sie nicht heiratest.«
»Sie war immer sehr sensibel, Smith, verstehst du.«
»Es war mehr als unfair. Du liebtest sie nicht. Und du hast es ihr auch gesagt, stimmt's nicht?«
»Ich erinnere mich, daß ich in dieser Sache ziemlich deutlich gewesen bin.«
»Aber du hast sie trotzdem geheiratet.«
»Ich mußte an meine Firma denken, ebenso an meine Mutter und meinen Vater. Ein solcher Skandal hätte sie getötet.«
»Und so geht das nun seit zehn Jahren.«
»Ja«, sagte Braling, dessen graue Augen starr geradeaus blickten. »Doch vielleicht ändert sich die Lage jetzt. Sieh her.«
Er zog ein langes blaues Billet aus der Tasche.
»Ach, das ist ja ein Flugschein nach Rio mit der Donnerstags-Rakete!«
»Ja, endlich habe ich es geschafft.«
»Aber das ist ja großartig! Du hast es wirklich verdient! Doch wird sie auch keine Einwände erheben? Schwierigkeiten machen?«
Braling lächelte nervös. »Sie wird gar nicht merken, daß ich fort bin.«
Smith seufzte. »Ich wünschte, ich könnte mit dir Siegen.«
»Armer Smith, deine Ehe ist auch nicht gerade rosig?«
»Nicht besonders, wenn man mit einer Frau verheiratet ist, die zuviel des Guten tut. Weißt du, wenn man zehn Jahre verheiratet ist, erwartet man schließlich nicht mehr, daß die
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