Der illustrierte Mann
Frau einem Abend für Abend zwei Stunden lang auf dem Schoß sitzt, einen zwölfmal am Tag im Büro anruft und verliebten Unsinn schwatzt. Manchmal überlege ich mir, ob sie nicht vielleicht etwas zu naiv ist.«
»Ah, Smith, immer der alte – nur niemand zu nahe treten. Doch wir sind bei meinem Haus angelangt. Na, möchtest du gern mein Geheimnis kennenlernen? Wie ich's angestellt habe, heute abend zu entwischen?«
»Willst du's mir wirklich verraten?«
»Schau hoch, dort!« sagte Braling.
Sie starrten beide durch die Dunkelheit nach oben.
Am Fenster über ihnen im ersten Stock öffnete sich ein Laden. Ein Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren, mit leicht angegrauten Schläfen, traurigen grauen Augen und einem schmalen, schütteren Schnurrbart sah zu ihnen herab.
»Himmel, das bist ja du!« rief Smith.
»Sch-sch, nicht so laut!« Braling winkte nach oben. Der Mann am Fenster winkte bedeutungsvoll zurück und verschwand.
»Ich muß verrückt sein«, sagte Smith.
»Gedulde dich einen Augenblick.«
Sie warteten.
Die Haustür öffnete sich, und der große hagere Mann mit dem Schnurrbart und den kummervollen Augen trat heraus und gesellte sich zu ihnen.
»Hallo, Braling«, sagte er.
»Hallo, Braling«, erwiderte Braling.
Die beiden waren identisch.
Smith staunte mit weitaufgerissenen Augen. »Ist das dein Zwillingsbruder? Ich habe nie gewußt ...«
»Nein, nein«, sagte Braling ruhig. »Tritt näher. Lege dein Ohr an die Brust von Braling Zwei.«
Smith zögerte, beugte sich dann aber vor und legte seinen Kopf gegen die Rippen des anderen.
Tick-tick-tick-tick-tick-tick-tick-tick-tick.
»Oh, nein! Das kann nicht sein!«
»Es ist so.«
»Laß mich nochmal hören.«
Tick-tick-tick-tick-tick-tick-tick-tick-tick.
Smith richtete sich schwankend auf und klappte entsetzt mit den Augenlidern. Er streckte den Arm aus und berührte die warmen Hände und Wangen des Dings.
»Woher hast du es?«
»Ist er nicht fabelhaft nach Maß gearbeitet?«
»Unglaublich. Woher?«
»Gib dem Herrn deine Karte, Braling Zwei.«
Braling Zwei produzierte eine weiße Karte:
M ARIONETTEN , E . V.
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»Nein«, sagte Smith.
»Doch«, sagte Braling.
»Wie lange geht das schon so?«
»Ich habe ihn jetzt seit einem Monat. Wenn ich zu Hause bin halte ich ihn im Keller in einer Werkzeugkiste. Meine Frau geht niemals hinunter, und ich habe das einzige Schloß und den einzigen Schlüssel zu dieser Kiste. Heute abend sagte ich zu ihr, ich wollte nur mal einen kleinen Spaziergang machen und mir eine Zigarre kaufen. Ich ging in den Keller, holte Braling Zwei aus seiner Kiste und schickte ihn nach oben, während ich weiterging um meine Verabredung mit dir einzuhalten, Smith.«
»Wunderbar! Er riecht sogar wie du: Bond Street und Melachrinos!«
»Es mag Haarspalterei sein, aber ich halte dies für höchst moralisch. Schließlich bin ich es doch, nach dem meine Frau sich am meisten verzehrt. Diese Marionette ist ich, bis zum letzten Härchen. Ich bin den ganzen Abend zu Hause gewesen. Ich werde den ganzen nächsten Monat bei ihr bleiben. Inzwischen wird ein anderer Braling in Rio sein, nachdem er zehn Jahre darauf gewartet hat. Wenn ich von Rio nach Hause komme, wird Braling Zwei hier in seine Kiste zurückgehen.«
Smith dachte ein paar Augenblicke darüber nach. »Wird er einen ganzen Monat lang ohne jede Wartung umhergehen können?« fragte er schließlich.
»Sechs Monate, wenn notwendig. Und er ist so konstruiert, daß er alles tut wie wir – essen, schlafen, schwitzen – alles so natürlich, wie es die Natur vorsieht. – Du wirst gut für meine Frau sorgen, nicht wahr, Braling Zwei?«
»Deine Frau ist ganz nett«, sagte Braling Zwei. »Ich habe sie ziemlich lieb gewonnen.«
Smith begann zu zittern. »Wie lange arbeitet ›Marionetten e. V.‹ schon?«
»Seit zwei Jahren, heimlich.«
»Könnte ich – ich meine, gibt es eine Möglichkeit ...« Ernsthaft faßte Smith seinen Freund beim Ellbogen. »Kannst du mir nicht sagen, wo ich so eine Marionette für mich selbst bekommen kann? Du gibst mir doch die Adresse, nicht wahr?«
»Bitte schön.«
Smith nahm die Karte. »Vielen Dank«, sagte er. »Du weißt nicht, was das für mich bedeutet. Nur eine kleine Verschnaufpause. Einen Abend oder so,
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