Der im Dunkeln wacht - Roman
hin- und hergehen, bis sie alles in die Wohnung gebracht hatten. Als Irene die Tür öffnete, schlug ihr stickige Luft entgegen. Zu Hause. In Sicherheit. Erst jetzt wagte sie aufzuatmen. Ohne es richtig zu merken, war sie während der letzten vierundzwanzig Stunden ständig auf der Hut gewesen, jetzt ließ ihre Anspannung nach. Geschwächt ließ sie sich auf den einzigen Sessel in dem leeren Wohnzimmer sinken. Glücklicherweise stand dort auch noch eine Stehlampe ihrer Mutter.
»Soll ich dir einen Stuhl hinstellen, damit du dich auch setzen kannst?«, fragte Irene.
»Ja, danke. Mit einer Hand ist das etwas schwierig«, sagte Krister und hielt seine bandagierte Faust hoch.
Sie stellte die Klappstühle auf und bezog danach auch gleich die Betten. Egon machte es sich darin bequem und schlief sofort ein.
»Wie wär’s mit einer Tasse Tee?«, fragte Irene.
»Nein, danke, Liebes. Ich bin hundemüde. Ich leg mich sofort hin«, antwortete Krister.
Kein Wunder, dass du müde bist, schließlich warst du heute ungeheuer effizient, dachte Irene zärtlich. Aber sie sagte nichts und gab ihm einfach einen Gutenachtkuss.
Sie nahm Angelicas Blogausdruck aus der Tasche und machte es sich auf dem Sessel bequem.
Dann begann sie zu lesen.
29.4.2009. Willkommen bei Angies Blog. Ich will euch von meinen bitteren Erfahrungen im Zusammenhang mit Machtmissbrauch der Polizei und anderer Behörden erzählen. Es ist schändlich, dass die Polizei ungestraft machen kann, was sie will! Wenn die Polizei sich entschließt, jemanden zu verfolgen, dann tut sie es erbarmungslos, auch wenn das bedeutet, ihn sogar in den Tod zu treiben!! Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Beide meine Kinder sind nun nach jahrelanger Überwachung der Polizei tot! Besonders eine Beamtin hat es auf mich und meine Kinder abgesehen. Eine Göteborger Beamtin: Irene Huss. Ihr Name treibt mir den Schweiß auf die Stirn und erfüllt mich mit Schrecken!! Ich weiß nicht, warum sie begonnen hat, mich und meine Kinder zu jagen, aber vielleicht war es der Umstand, dass meine Tochter anders war. Sie war still und wurde deswegen in der Schule gemobbt. Erst im Alter von zwölf bekam Sophie die Diagnose Asperger-Syndrom. Sie spielte immer am liebsten allein. Mir war klar, dass etwas mit ihr nicht in Ordnung war, und ich suchte viele Ärzte auf, aber keiner konnte mir zunächst weiterhelfen. Ballett war ihr großes Interesse. Wenn sie tanzte, schien sie wie alle anderen zu sein. Sie fing bereits mit vier im Ballett an und wurde mit der Zeit eine sehr gute Tänzerin. Das war auch nicht weiter erstaunlich, da ich selbst eine klassische Ballettausbildung habe und außerdem ausgebildete Ballettpädagogin bin.«
Darauf folgte eine ausschweifende Beschreibung von Angelicas glanzvoller Ballettkarriere. Der Text endete mit Aufzählungen dessen, was Irene Angelica zufolge ihrer Tochter angetan hatte. Die letzten Worte lauteten: »Morgen schreibe ich weiter, denn jetzt kann ich nicht mehr. Die Trauer packt mich wieder mit eisigen Klauen. Sie zerfleischen mir das Herz!«
Irene spürte, wie ihr Herz klopfte. Sie ließ das Papier sinken, trank einen Schluck von dem lauwarmen Tee, der auf dem Hocker neben dem Sessel stand, und setzte die Lektüre fort.
Die Eintragung war etliche Male kommentiert worden. Einige Leute drückten Angie, der so übel mitgespielt worden war, ihre Sympathie aus. Einige von ihnen gaben an, selbst von der Polizei verfolgt zu werden. Einige Kommentare waren von offenbar vollkommen verwirrten Personen verfasst worden. Einer lautete: »Super!!! Nicht klein beigeben!!!!! Wir bringen sie alle um, verdammt ! ! ! ! ! Sprengt alle Polizisten in die Luft!!!!!!!«
Laut Angelica hatte also die Polizei in Person Irene Huss’ Sophies und Frejs Tod verschuldet. Den Lesern des Blogs, die die wahre Geschichte nicht kannten, musste Irene als eine bösartige Verfolgerin erscheinen, die zwei junge Menschen in den Tod gehetzt hatte. Was sollte man dagegen unternehmen?, überlegte Irene resigniert. Konnte man dies als Verleumdung ahnden? Oder war das nur der hilflose Vorschlag eines Politikers gewesen?
Nach einer kurzen Pause zwang sie sich zum Weiterlesen.
»30.4.2009. Angies Blog. Alles fing mit einem tragischen Unfall an. Mein geliebter Mann Magnus hatte sich nach dem Essen hingelegt und war mit einer Zigarette eingeschlafen. Er besaß die hässliche Angewohnheit, im Bett zu rauchen, und ich hatte ihm oft gesagt, er solle es bleiben lassen. Und diesmal passierte
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