Der im Dunkeln wacht - Roman
Gefühlen. Ihr würde die Nähe des Meeres fehlen. Aber alles hatte seine Zeit. Die Zwillinge waren erwachsen und wohnten schon seit Jahren nicht mehr zu Hause. Jetzt würden Krister und sie Stadtmenschen werden und Egon ein Stadthund.
Es wurde rasch dunkel. Blauschwarze Wolken trieben vom Meer heran. Der auffrischende Wind versprach weiteren Regen.
Irene entschloss sich, nur eine Runde um die Reihenhäuser zu machen.
Der Fußweg hinter ihrem Haus führte einen kleinen Hang hinunter. Dort wuchsen ein paar Bäume und dichtes Gestrüpp. Das durfte erst mal als Ausflug in die Natur genügen. Insbesondere da Krister mit Egon schon am Morgen zum Pilzesuchen im Wald gewesen war. Sie schaute auf den kleinen Hund hinunter, der am anderen Ende der Leine fröhlich hin und her wetzte und herumschnüffelte. Sein seidiges Fell wurde nass, als er unter den regennassen Büschen herumlief. Wie pflegte man dieses Fell? Reichte Bürsten, oder musste man es auch stutzen? Das musste sie in Erfahrung bringen. Zärtlich schaute Irene auf ihren neuen Hund hinunter. Plötzlich fiel ihr auf, dass sich seine Haltung veränderte. Er erstarrte und richtete seinen Blick auf etwas in den dunklen Büschen. Hastig drehte sich Irene um und blickte geradewegs in das Wohnzimmer ihres eigenen Hauses. Dort drinnen standen Krister und Madeleine Sigfrid und unterhielten sich. Die Nachbarhäuser wurden von gepflegten Hecken umgeben, aber Familie Huss hatte sich nie die Mühe gemacht, eine anzupflanzen. Auf der Rückseite ihres Hauses befand sich nur ein niedriger Zaun zwischen Garten und Fußweg.
Es knackte, als ein morscher Ast abbrach. Sie drehte den Kopf rasch in die andere Richtung und konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Weidengebüsch. Sie hörte das Rascheln von Stoff. Oder handelte es sich nur um Laub, das sich im Wind bewegte? Es war unmöglich, in dem Gestrüpp etwas zu erkennen. Stand dort vielleicht ein Reh? Aber das hätte inzwischen mit Sicherheit schon längst die Flucht ergriffen, schließlich hatten Rehe für Hunde nicht sonderlich viel übrig. Jetzt war es wieder still. Im Gebüsch stand jemand und beobachtete sie reglos.
Egon begann zu jaulen und an der Leine zu ziehen. Er hatte Angst und wollte weiter. Allein und unbewaffnet wollte Irene nicht in das Gebüsch eindringen, um nachzusehen, wer sich
dort verbarg. War Angelica etwa zurückgekommen, um ihnen ein weiteres Fenster einzuwerfen? Oder wollte sie auf Krister und sie mit den Fäusten losgehen? Plötzlich wünschte sich Irene, den Blog gelesen zu haben. Es war immer gut, soviel wie möglich über seine Gegner in Erfahrung zu bringen, damit man wusste, mit wem man es zu tun hatte. Sollte sie stehen bleiben und einen Streifenwagen rufen? Aber wenn jetzt Egons und ihre Fantasie ihnen einfach nur einen Streich gespielt hatte? Außerdem konnte es ziemlich lange dauern, bis ein Streifenwagen eintraf. Das Beste war, diesen Ort so rasch wie möglich zu verlassen.
Egon zerrte an der Leine, als sie den Rückzug antraten. Den ganzen Weg über hatte sie das Gefühl, einen Blick im Nacken zu verspüren. Sie zwang sich jedoch dazu, sich nicht umzudrehen. Stattdessen horchte sie angespannt, ob jemand versuchte, sich von hinten zu nähern.
Vor der Haustüre blieb sie stehen und wählte die Bereitschaftsnummer des Dezernats. Wie erwartet war Hannu am Apparat, der Dienst hatte. Als Irene ihn fragte, ob sie Angelica ausfindig gemacht hätten, verneinte er bedauernd.
»Ihre letzte bekannte Adresse ist die Distansgatan in Högsbo. Wir waren dort, haben sie aber nicht angetroffen«, erklärte er.
»Sie ist also in ihre alte Wohnung zurückgezogen oder zumindest in dieselbe Straße. Offenbar hatte sie kein Geld mehr, und die Beziehung zu diesem älteren Typen ist beendet.«
»Wahrscheinlich. Sie unterrichtet auch kein Ballett mehr. Wir haben mit der Ballettschule gesprochen. Sie hat dort vor fünf Jahren aufgehört.«
Offenbar war es Angelica nicht besonders gut ergangen. Sie hatte Geldprobleme und war zurück in ihre alte Straße gezogen. Irene war einige Male dort gewesen, als sie sich mit dem Tod von Sophie befasst hatte. Den betuchten Verlobten gab es offensichtlich nicht mehr, denn dieser wäre wohl kaum in eine Zweizimmerwohnung gezogen. Irene erinnerte sich, dass er große Pläne
für das Haus in Änggården gehabt hatte, das Angelica von ihrer Tochter geerbt hatte.
Jetzt war Angelica also verschwunden. Zumindest ging sie der Polizei aus dem Weg.
»Habt ihr jemanden vor der
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