Der Implex
einfach annehmen, daß das (inzwischen – gemessen an historischen Zeitmaßstäben – oft nahezu zeitverlustfreie) Zurückwirken der von einer Gesellschaftsform organisierten Produktionsumstellungen auf diese selbst (als längst totstrapazierte Eselsbrückenparole: Das Sein bestimmt das Bewußtsein) eine Besonderheit der Epoche der industriellen Revolution gewesen sei. Man soll das glauben, wenn man will. Ausdrücke von hoher Erklärungskraft wie Wittfogels »hydraulische Gesellschaft« fürs babylonische Reich und das pharaonische Ägypten wird man dann freilich nicht verstehen.
Verwissenschaftlichung potenziert Produktion; Produktion produziert, außer Gütern, auch Gesellschaft: Der Sachverhalt ist eine historische Invariante, der römische Aquädukt bestimmte mit, was eine römische Stadt ist, und die römische Straßenbauweise (Steinplatte mit Mörtel, dann grober Schotter, feiner Schotter und Belag, das Ganze gesäumt von Wasserpfaden) und die römische Militärtechnik (Schlachtordnungen, Katapulte etc.) formten das römische Weltreich im Endo- wie Exoskelett, die soziale Kohäsion der Sklavenhaltergesellschaft wurde als Oberflächenspannung wie als Organisation von Organen um Achsen und Gelenke herum in durchaus technischer Weise aufrechterhalten, wie alle wissen, die Asterix gelesen haben (besonders lehrreich: Die Trabantenstadt ), aber mit »technischem Fortschritt« hat das alles dennoch wenig zu tun, einen entwickelten Sektor research and development gab es zur Kaiserzeit sowenig wie später im feudalen Mittelalter, und daß die Invariante in allen Gesellschaftsformen auftaucht, lädt jedenfalls nicht eben zur Vermutung ein, sie könnte etwas mit der Ablösung der einen durch die andere zu schaffen haben – was aber so sehr täuscht, wie etwa eine Untersuchung irreführend wäre, die von der Entwicklung der geographischen Streuungsentwicklung der nodes des ARPANET in den siebziger Jahren (große Konzentration von Knotenpunkten in Kalifornien und den nordöstlichen USA, wenige Ausreißer auf Hawaii, auf dem Gelände einer NATO-Radarstation in Norwegen und weiter nach London) darauf schlösse, man habe es bei diesem Netz mit einer nordamerikanischen Militärverwaltungsangelegenheit zu tun, deren räumliche Organisation den Invarianten von Strategie und Taktik folgen müsse statt mit dem agencement der Urzellen des Internets.
Daß aus einer von amerikanischen Steuerzahlern in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bezahlten Militäreinrichtung (statt etwa aus einem chinesischen Wirtschaftsplanungsinstrument, einem UNESCO-Projekt oder einer mathematischen Versuchseinrichtung eines europäischen Hochschulverbands) das bislang extensivste Informationsnetz der Weltgeschichte wurde, ist so wenig kontingent wie die Tatsache, daß es der Kapitalismus war, an dem Marx und Engels ihr materialistisches Geschichtsmodell entwickelt haben. Die manchmal bei Marxianerinnen und Marxologen anzutreffende Ansicht, es sei selbst ganz besonders materialistisch, diesen Umstand aus der politischen Opportunität des Kampfes gegen die nun mal vorhandene Sorte Klassengesellschaft zu »erklären«, zehrt vom proton pseudos, man könnte die Erklärungsbedürftigkeit einer erklärungsbedürftigen Sache loswerden, indem man etwas nicht minder Erklärungsbedürftiges als Erklärung präsentiert. Die Theorien über Klassengesellschaften sind auch für den historischen Materialismus sowenig bloße unvermittelte Feldeffekte von politischen Klassenkonstellationen wie diese Klassengesellschaften selbst lediglich vertrackte Epiphänomene selbstbewegter Produktivkraftgeschichte. Die Theorien werden nach Klassenkampfverlaufsformen nicht erfunden, sondern nur angenommen oder verworfen (eben von materiellen Trägern: Klassen, Bewegungen, Parteien), propagiert, umgesetzt, bekämpft; und die Klassen verhalten sich zum Stand der Produktivkräfte wie, nach einem anschaulichen und großen Wort John Archibald Wheelers, in der Einsteinschen Geometrodynamik die Raumzeit zur Masse: Letztere sagt der Raumzeit, wie sie sich krümmen muß, das heißt, sie bestimmt ihre Gestalt, diese aber schreibt dann der Masse gleichsam choreographisch vor, wie sie sich bewegen kann. So mag die Entwicklung einer Klassengesellschaft der Produktivkraftgeschichte je nach Eigentumsordnung, Populationsdynamik, Migration, militärischen Zweck-Mittel-Relationen und Geschlechterverhältnissen arge Fesseln anlegen oder Freiheitsgrade verschaffen – das
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