Der Implex
den staatlich organisierten Marxismus so sicher überlebt wie jeder Aberglaube alle Versuche, ihm mit bloßen Vernunftgründen zuleibe zu rücken, noch 2010 verkündet jemand so Gescheites wie Deirdre McCloskey auf den nahezu 600 Seiten einer umfangreichen Abhandlung namens Bourgeois Dignity den einzigen Gedanken, kapitalistische Eigentumsverhältnisse, Freihandel, Investitionsstrukturen, Ausbeutung und Imperialismus allein könnten die Leistungen der europäischen und nordamerikanischen Moderne, die wir oben entwickelt haben, nicht erklären, das könnte nur die Richtigkeit und daher Wirksamkeit des bürgerlichen sense of life – es waren die Ideen von Galilei und Newton, die Methodenlehre von Bacon, was diese Moderne schuf, nicht Lohnarbeit, entwickelte Warenproduktion und Profit.
Der Ansatz macht sich die Ambiguität des Erklärungsbegriffs zunutze; weiter ist nichts dran: Erklärungen führen nicht nur Wirkungen auf Ursachen zurück, sondern auch Tatsachen auf Möglichkeitsbedingungen verschiedener Wahrscheinlichkeitsgrade – der Satz, die ökonomischen Bedingungen »erklären nicht« die Moderne, ist so wahr wie der Satz, die auf sozioökonomischem Wege (etwa in Gestalt des Durchlaufens eines bestimmten, teils staatlich organisierten, teils privat finanzierten Ausbildungscurriculums, ein Vorgang im von Sellars so benannten Raum der Ursachen und Wirkungen) erworbene Qualifikation eines Technikers »erklärt nicht«, daß ihn eine Rüstungsfirma auch tatsächlich eingestellt hat (er muß sich nämlich auch bewerben oder rekrutiert werden, beides Vorgänge im Bereich Kommunikation, wo wir es nach Sellars mit Begründungen und Folgerungen zu tun haben statt mit Ursachen und Wirkungen). Hätte McCloskey Bacon, den sie lobt und für alles mögliche bis hin zu Darwins Funden verantwortlich macht, wirklich gelesen, hätte ihr klarwerden müssen, daß ihr eigener ideengeschichtlicher Ansatz sich mit seiner Methodologie wesentlich ärger beißt als noch die zweideutigsten Sätze der Autoren der blauen Bände – daß etwas eine Erklärung ist, gilt bei Bacon so lange nicht als ausgemacht, wie keine Gegenprobe versucht wurde und keine Vorhersagen aus den Propositionen des Erklärungsansatzes gewonnen wurden; eine Gegenprobe der Ideenlehre, mit der McCloskey aufwartet, ist aber leicht zu machen: Wenn es Ideen wie die, die sie für die Moderne verantwortlich macht, schon früher gegeben hat, ohne daß daraus eine Moderne sich hätte vorhersagen, geschweige damit erzeugen lassen, ist die Lehre blamiert, und hätte sie die historischen Exkurse in der Dialektik der Natur , wenigstens aber die ionische Naturphilosophie, Lukrez und andere erst nach der Emanzipation ihres geliebten Bürgertums fruchtbar gewordene Altertümer zur Kenntnis genommen, hätte sie sich zu der Einsicht bereitfinden müssen, daß eben das bereits geschehen ist. Interessant an der im wesentlichen rhetorischen (statt im engeren, sachbezogenen Sinn argumentativen) Strategie McCloskeys ist im gegebenen Zusammenhang aber vor allem, daß sie sich bei genauerem Hinsehen als verwässerte Variante einer anderen entpuppt, mit der sowohl von Seiten der feudalen und klerikalen antibürgerlichen Reaktion wie zwei- bis dreihundert Jahre später von Seiten der bürgerlichen Skepsis gegen ebenjenes Baconsche Begriffssystem zu Felde gezogen wurde, dem McCloskey das neu-atlantische effecting all things possible wieder so artig zutraut, als hätte die Linie von Kardinal Bellarmin bis Popper durch diese Rechnung nie einen Strich zu ziehen versucht.
So wie sie ökonomische Erklärungen moderner Sozialtatbestände ins Reich der Mythen verweist, weil solche Erklärungen zu viele Freiheitsgrade der Entwicklung unberücksichtigt ließen, so brachten die Gegner Bacons (und, by extension, häufig genug sogar Ockhams) gegen dessen um die Induktion zentriertes System der Wahrheitengewinnung vor, Induktion (wie alles nicht-deduktive Schließen) sei von Natur aus fehlbar, man könne mittels ihrer niemals völlige Gewißheit über irgend etwas erlangen. Der Vorwurf richtet ganz offensichtlich eine Strohpuppe in Bacongestalt auf, um sie abzuschießen: Die diachrone Perfektibilität wissenschaftlicher Welterschließung hätte der wirkliche Bacon niemals so stark betonen können, wie er das getan hat, wenn er auch nur einen Augenblick lang der Meinung gewesen wäre, sie wäre ein Verfahren zum Erlangen oder Festklopfen von Gewißheiten. Auch die französischen mechanistischen
Weitere Kostenlose Bücher