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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Subjektive, in beliebigste Partikularität ab – diejenigen der Protokollsätze nämlich, die auch anders sein könnten, 2.) im erweiterten, historischen Sinn anschauungs-, erkenntnis- und welterschließungskritisch, zum Beispiel in Adornos Freiheitsvorlesungen: »Im übrigen kann man ja sagen, daß jene, zugleich in sich ganz folgerichtige und konsequente Perversion der Allgemeinheit, die gleichzeitig im Begriff des Ganzen gegenüber der Partikularität liegt« – er meint mit Perversion, was wir oben umschrieben haben als den Gedanken daran, daß das Allgemeine dem Besonderen als auch nur ein weiteres »stures Einzelinteresse« entgegentreten kann, und nennt dies das »sture Einzelinteresse der Totalität« –,
    »daß jene Perversion geradezu triumphiert hat in der faschistischen Rassentheorie, in der ja nun wirklich diese Allgemeinheit ihrerseits in ein Naturverhältnis umgebogen, naturalisiert und dadurch wieder zu einer Partikularität gemacht worden ist, die dann wie alles Partikulare die Tendenz hatte, das andere Partikulare nicht zu dulden, sondern, wenn möglich, eben totzuschlagen.« 79
    Diese Ableitung verliert nichts von ihrem Grauen, aber zum Glück viel von ihrer Plausibilität, wenn man sie in eine historische Konkretion übersetzt: Locke, Rousseau, Paine, Jefferson und Robespierre sind schuld am Wahnsinn von Gobineau, Chamberlain, Rosenberg, Streicher und Hitler – warum? Weil Adorno, hier mit einemmal ein gröberer Vulgärbaconianer als selbst Condorcet in seinen didaktischsten Momenten, offenbar glaubt, ein allgemeines Geschichtsgesetz gefunden zu haben, das ihm erlaubt, nun seinerseits die Erscheinungen zu etwas zu hypostasieren, das Totalität heißen darf, wenn auch negativ – die Stelle geht weiter: »Sie mögen daraus sehen, daß die Dialektik der Vernunft oder Dialektik der Aufklärung in der Geschichte so ernst und so tief ist, daß man sagen muß – ich spitze es jetzt dialektisch sehr zu –, daß die Vernunft selber in der geschichtlich überlieferten Gestalt, in der wir bis heute mit ihr zu rechnen haben, beides in eins sei: Vernunft und Unvernunft.« 80
    Daß der Vernunftzweifel, den Adorno hier ausspricht, von historischen Gewalterfahrungen nämlich der Niederlage der Arbeiterbewegung in Mitteleuropa in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts und der Singularität der Shoah angestoßen ist, müssen wir nicht umständlich detektivisch-forensisch aufweisen, auch wenn eine Monographie, die dies einmal mit der Genauigkeit nachzeichnet, mit der James Heartfield die strukturalistische bis poststrukturalistische, auf andere als Adornos Art vernunftkritische Phase in der französischen Philosophie mit dem Algerienkrieg und ähnlichen Ernüchterungsinzidenzen verknüpft hat, etwas sehr Wünschenswertes wäre. Daß die Vernunft »in ihrer geschichtlich überlieferten Gestalt« selbst Aussagen produzieren muß, die formal wie inhaltlich zeitgebunden sind sowohl im Fall ihrer Wahrheit wie dem ihrer Verkehrtheit, wiederholt die Kritische Theorie ja selber mit mantrahafter Ausdauer und weiß sich damit zugleich dennoch ganz einig mit Leuten, die an der Vernunft, an der Induktion und den übrigen Prämissenspendern der Aufklärung keine Schwierigkeiten haben (Stove, weder Kuhnianer noch Ideologiekritiker im Sinne der von ihm verachteten Marx und Engels, hat ähnliches wie Heartfield im Algerienfall für das Jazz Age und Popper ermittelt, Paul Forman der Quantenmechanik ihren wissenshistorischen Ort in der spezifischen wissenschaftlichen Kultur der Weimarer Republik zugewiesen et cetera). Gezeichnet von einem geschichtlichen Augenblick, in dem das Ineinsgreifen von Vernunft und Unvernunft in beispiellosen Verbrechen nach der Seite der Unvernunft (Hannah Arendts schon zitierter »vollendeter Sinnlosigkeit«) vereindeutigt wurde, kapituliert Adornos Denken punktuell sogar vor seiner eigenen Legierung von Vernunft und Unvernunft, wie es im Vorwort der Minima Moralia heißt: »Die Gewalt, die mich vertrieben hatte, verwehrte mir zugleich ihre volle Erkenntnis.« 81 Diese Lähmung meint er im selben Atemzug aber auch bereits überwunden zu haben, nämlich dank dem nun eben nicht mehr erfahrungskonstituierten, sondern aus moralischer Reflexion gewonnenen Erkenntnissupplement des persönlichen Eingeständnisses einer »Mitschuld« an dieser Gewalt. Erkenntnis der Sachverhalte, der, wie wir sagen, Natur der Sache auch dann, wenn die Sache menschengemacht ist wie der Faschismus, könne ohne dieses

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