Der Implex
ganze bürgerliche Zeitalter als Rauschtraum der Transgression begleitet haben, und andererseits die ideologiekritische bis zeichendeuterische sozusagen organisch-semiologische Auseinandersetzung mit diesen, stimmt schon deshalb nicht, weil die utopischen Vorschläge sich auf quantitativ von den bescheidenen Möglichkeiten des cross-dressing und der mimetischen Interaktionsverschiebung grundverschiedene biowissenschaftliche Optionen beziehen und die Bilderkritik in einem sozialen Universum stattfindet, das auf Bilder und Zeichen einen »informationsgesellschaftlichen« Zugriff erlaubt (und ein Bestürmtwerden mit solchen Bildern und Zeichen einrichtet), wie es das nie zuvor gegeben hat. Der unbestreitbaren Tatsache, daß der entwickelte, Weltsystem gewordene Kapitalismus die Normierungen, die er in den Objekten seines Funktionierens installieren muß, um sie sich als das erhalten zu können, was ihn trägt, vielfach nicht mehr mittels Uniformität oder Konformismus, sondern mittels Individualisierung durchsetzt – bis das wieder anders wird: Die Freiheiten, die er öffnet, sind gewährt, verkauft, nicht erkämpft –, hat die Transgressionspartei darin Rechnung getragen, daß sie in oft bewundernswerter Weise die Solidarität mit allen hält und forciert, die in den lokalen und globalen Lebensstil-Produktpaletten immer noch nicht vorgesehen sind, von alten Menschen, deren Sexualität im glamourösen Konsumsex stört, über Zoophile bis zu Leuten, die sich in Sachen verlieben (» objectum sexuality «) – die Sichtbarkeit all dieser Lebensformen hat in den multiplizierten Öffentlichkeiten der IT-Ära insgesamt stark zugenommen, auch die kreuzbraven Tagesthemen berichten schon mal über Erika »Aya« Eiffel; und ob der Wettlauf zwischen denen, die sich der Inwertsetzung von Lust und Liebe mittels Normüberschreitungsstrategien verweigern und den Produktentwicklungsabteilungen der Privatwirtschaft in neue Aggregatszustände der tristesse oder zu etwas Menschenwürdigem führen wird, das man »positive Dekadenz« nennen könnte, kann von theoretischen Mutmaßungen jedenfalls nicht präjudiziert werden. Die leitende Idee sowohl der Transidentitären wie derer, die sie kritisch begleiten, ist jedenfalls die gewiß nicht unrichtige, daß das richtige Leben vor allem eins nicht sein wird: natürlich. Es ist zu früh, Kanzelworte darüber zu sprechen, was diese Idee für eine soziale Biographie gehabt haben wird, hoffen wollen wir aber, daß aus dem Angriff des Künstlichen aufs Natürliche nicht wieder der Nektar eines neuen Hauptwiderspruchs gemolken wird, weil eine daran orientierte Arbeit nur in seltenen Ausnahmefällen (nämlich wenn sich die Gegenseite, das Bestehende, besonders dumm anstellt) politische Transformationspotentiale öffnet, weil man nicht auf eine bestimmte Art lieben kann, um das Elend zu überwinden, sondern nur das Elend bekämpfen, um die Liebe von ebender Heteronomie zu emanzipieren, die in ihrer Bestimmung durch das falsche Soziale so erdrückend Wirklichkeit wird wie in ihrer Konterbestimmung durch irgendein verordnetes Rebellionsprogramm.
Der fatale Irrtum jeder Sortierung des öffentlichen wie des privaten Unrechts (und ihrer beider wechselseitigen Abhängigkeit) nach Haupt- und Nebenwidersprüchen gehört, dies nur quasi im Vorbeigehen, zu den theoretischen Diremptionen und praktischen Frakturen in der Emanzipationsgeschichte, die wir in diesem Buch scharf herausstellen und zu deren Ausscheidung aus dem Gerätepark der engines of progress wir auffordern möchten – dem organisierten Marxismus wäre manche Blamage erspart geblieben, wenn er nicht immer wieder so etwas gesagt hätte wie:
»Ekelhaftes der Sorte Rassismus und Sexismus wird, weil alles Unrecht in der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft immer nur Epiphänomen des Hauptwiderspruchs zwischen dem automatischen Subjekt ›Kapital‹ und der um ihre geschichtsbildenden und freiheitlichen Potenzen von diesem Subjekt betrogenen lebendigen Arbeit ist, von selbst verschwinden, wenn dieser Hauptwiderspruch aufgehoben ist« –
sondern richtig, also sowohl bescheidener wie genauer:
»Es gibt sehr viele gute Gründe, das die menschlichen Potenzen auf allen Ebenen beleidigende Kapitalverhältnis loswerden zu wollen, darunter nicht zuletzt den, daß es sein Unrecht durch Ausnutzung, Kolonisierung, stratifikatorische oder dynamisierende Indienstnahme anderer Unrechtseinrichtungen wie des Sexismus, der heterosexuellen Normierung,
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