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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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des Rassismus und ähnlicher Ekelhaftigkeiten absichert und nährt – gelingt es aber, dieses Kapitalverhältnis, das bei der Wahl seiner Funktionskolonien sowenig wählerisch ist und die abstoßendsten Unrechtsverhältnisse gerade gut genug findet, in ihnen aufzublühen wie das fiese pathogene Mikrotierchen in der Nährlosung, tatsächlich umzustoßen, so wird die dabei benötigte wie freiwerdende soziale Vorstellungskraft plötzlich sehen, daß man für fundamental gehaltene Hexis und Praxis, von der buchstäblich die empirische eigene Existenz abzuhängen schien (Geld verdienen!), nicht naturwüchsig hinnehmen muß, und einen besseren Augenblick, auch alles andere eingeschliffene Unrecht abzuschaffen, weil man erkennt, daß man dazu in der Lage ist, gibt es nicht.«
     
    Kann aber, trotz und wegen allem eben Mitgeteilten, nicht dennoch die Liebe, wenn sie schon nicht das ist, was der pseudostrategische, revolutionsbeamtenhafte Ausdruck »Hauptwiderspruch« meint, nicht andererseits doch dasjenige Gesicht des Gesamtalptraums eines ungerechten Lebens sein, das sich am leichtesten küssen läßt, auf daß es aus diesem Alptraum erwache und sich selbst als ein Leben erkennen lernt, das gerecht sein will statt ungerecht, frei statt unterworfen, glücklich statt leer, solidarisch statt verkniffen, beredt statt mundtot, neugierig statt geblendet, schön statt häßlich?
II.
Ein Kommunistenzwist um Liebe
    1990, in Krakau, ein struppiger Straßensänger, der sich zwei Gästen aus dem Westen auf englisch verständlich machen will: »Yes, I am a socialist, but not like what we had here, what they have in Russia, what you had in Deutschland. I am a socialist of love. Before Marx, socialism was love. He killed all that, but it will come back now.« Der dritte Weg als Schnulze – als philologisches Statement über die Schicksale gewisser Manifeste und gesellschaftsanalytischer Schriften war das nicht gemeint; es fiel uns trotzdem, weil es so gut paßt, wieder ein, als wir für dieses Buch in die Archive stiegen: Richtig, da war doch etwas mit Liebe, ein Streit, Marx und Engels auf der einen Seite, die Liebespartei auf der anderen.
    Die beiden Gründer einer Lehre und Praxis, die »wissenschaftlicher Sozialismus« heißen sollte, stellten ihre Analysen, Forderungen, strategischen und taktischen Empfehlungen an die Arbeiterbewegung in einen halböffentlichen oppositionellen Raum, der damals vor strömender, stöhnender, überschäumender Freiheitserotik geradezu dampfblind zu werden drohte – Ludwig Feuerbach zum Beispiel, von dessen Bruch mit dem Idealismus sich die Wiederentdeckung und dialektische Aufhebung des französischen Materialismus und anderer Zentralmotive der Aufklärung durch Marx und Engels herschreibt, hatte sich vorgenommen, »den Menschen«, den er zu lieben erklärte, aus allen Luftspiegelungen und Vorwänden gesellschaftlich eingerichteter Art herauszulösen, zum Herauswachsen aus Religion und Ideologie zu erziehen und ihm zu ermöglichen, sich, wie Rousseau gewollt hatte, als wirklichen Körper mit wirklichen Begierden zu erkennen, an Gottes Stelle: ens realissimum (ein Vorläufer Nietzsches wie Bhagwans also, der Beiname des letzteren bedeutet ja: »einer, der sich als göttlich erkannt hat«). Feuerbach hieß allerdings nicht Stirner, es war ihm also klar, daß diese Körper und diese Begierden in vivo nur als etwas vorkommen, das in sozialen Relationen in Erscheinung tritt und nur so beobachtet werden kann. Eine Verengung seiner Position auf l’homme machine lehnte er ab und wies sie zurück mit unmißdeutbaren Sätzen wie: »Der Mensch, der ursprünglich aus der Natur entsprang, war auch nur ein reines Naturwesen, kein Mensch, der Mensch ist ein Produkt des Menschen, der Kultur, der Geschichte.« 91 Was sich aber darin ausspricht, »bleibt bei ihm durchaus unfruchtbar«, rügte Engels, weil Feuerbach den abgerichteten und dressierten, oder weniger wertend: den sozialempirisch gegebenen Menschen aus seinen Irrtümern dennoch zu nichts Komplizierterem als eben einem ursprünglichen Selbstsein befreien will, muß er darauf bauen, daß es in diesem naturanlagenhaft etwas gibt wie einen »gesunden Instinkt«, eine innere Stimme, ein quasinuminoses Introjekt, ein moralisches Gesetz der Natur, das seinen erst noch zu befreienden Menschenleib auch nach dem Abstreifen aller sozial antrainierten Borniertheiten jedenfalls daran hindert, ein Asozialer zu werden, der ungesellig jagt, sammelt, frißt und onaniert.

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