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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Antinomien aller Versuche gezeichnet sind, über das Falsche am gegebenen Sozialen hinauszukommen, ohne in Asozialität zu versinken – in sich gebrochen, sind sie außer durch die historischen Umstände ihrer Entstehung in den wohlhabenden Zonen auch logisch vielfältig aufeinander bezogen und bleiben das auch nach dem Vergehen dieser Umstände:
     
    1. Die »sexuelle Revolution« (weil man dabei naiverweise an biologisch reproduktive Dinge denken könnte, die nur am Rande berührt sind, hieße das wohl besser: die kulturelle, soziale und politische Neucodierung des Sexualverhaltens in den reichen Ländern) der sechziger Jahre, ermöglicht durch ökonomische Boomphasen, medizinische Neuerungen und den hedonistischen Antiautoritarismus der Neuen Linken, propagierte die Promiskuität als Weigerung, im bürgerlichen Selbstdisziplinierungsschema zu funktionieren. Auch wo man nicht auf Wilhelm Reich zurückgriff, lag dabei etwas von dessen Überzeugung in der Luft, die nichtmonogame, »befreit genitale«, von den Schädigungen intrapsychischer und den Verboten juridischer Repression befreite Heterosexualität könnte die Funken spenden, an denen sich das »allgemeine Unglück« (Freud) der Individuen zur politikfähigen Renitenz entzünden würde; die Warenwirtschaft aber erreichte mit ihrer Propaganda mehr Menschen, als diesen Gedanken je verstanden hätten, und so lief dieser Impuls in einer »Sexwelle« und biederen Vanilla-Erotisierung der Kulturindustrie aus, an denen die Kritik der neuen Frauenbewegung den Reflex darauf dingfest machen konnte, daß die reichianischen Befreiungskonzepte sich ganz gut als ein Abstreifen der letzten disziplinargesellschaftlichen Verbindlichkeiten operationalisieren ließen, ein Vorgang, der die ganz gewöhnliche Männermacht mit emanzipatorischem, libertärem bis libertinistischem Lack vergoldete: Reproduktionsarbeit leistet die Frau, dazu darf sie jetzt allenfalls noch promisk sein, die Männchen jedenfalls müssen keine Privilegien abgeben und kein Rollenverhalten brechen und kriegen zu ihren bisherigen Vorrechten nun auch noch die selbstverständlich statusdifferentielle Polygamie hinzu (der Genosse mit der größten Klappe erwartet die meisten Verehrerinnen); die letzte Dekade des vergangenen und die erste des gegenwärtigen Jahrhunderts erlebte unter teilweise feministischen und queeren Vorzeichen mehrere Anläufe, hier wenigstens so etwas wie Symmetrie herzustellen, also eine Rolle für Leute zu schreiben und zu leben, die biologisch Frauen sind, aber nicht ins Bild erotischer Häuslichkeit und treusorgender Brutpflege gezwängt werden müssen; gingen diese Anläufe überdies mit dem Wunsch einher, die Fixierung auf die hegemoniale Heterosexualität im selben Atemzug wie die auf weibliche Treue (die fürs Patriarchat naturgemäß [!] aus erbrechtlichen Gründen unerläßlich ist) zu brechen, so griffen sie unter nicht immer ganz treffenden Siglen wie »Polyamorie« auf bohemistische und gegenkulturelle Praxis und Hexis zurück, für die sich von Sartre und Beauvoir, Virginia Woolf und dem Bloomsbury-Kreis zahlreiche berühmte Beispiele finden ließen. Daß solche Konzepte aber weniger an geschichtlichen Vorbildern als am Mut zur praktischen Spekulation, zum Leben ungetesteter, eben nicht bewährter oder beglaubigter oder durch Autoritätsbeweise zu stützender Selbst- und Menschenentwürfe orientiert sind, zeigt sich schon daran, daß einige der wichtigsten Impulsgeber für diese Wagnisse Texte der Science-fiction (häufig von Frauen: Ursula K. Le Guin, Marge Piercy, Mercedes Lackey, C.J. Cherryh) waren und sind. Gegenüber diesem Vorgriff auf das noch nicht Gelebte sieht die »sexuelle Revolution« inzwischen arg alt aus: Was daraus nicht einfach Sexindustrie und Sexarbeit wurde, geriet zu Selbsterfahrungskitsch, und der löste sich schließlich über Zwischenstationen wie die »Aktionsanalytische Organisation« Otto Mühls, panische Indienreiserei und allerlei Beziehungshorrorkunst von Film bis Literatur einerseits in »esoterisch verhunztem Buddhismus« (Ludger Lütkehaus) und andererseits in die routinierten Seelenfängereien der therapeutischen »Caring Industry« (Ronald Dworkin) zur Errettung der modernen Seele (Eva Illouz) auf. Gezeigt hat sich: Sexuelle Entfremdung nach dem repressionstheoretischen Dampfkesselmodell zu denken und nicht zu bemerken, daß leidlich stabile Unrechtssysteme die Lust weniger deckeln als vielmehr vom Größten bis ins Kleinste vor allem

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