Der Implex
Im Bemühen, lieber ein unreifer Marx als ein vorweggenommener Einziger samt Eigentum zu sein, erklärt Feuerbach folglich etwas, das Engels mit vergleichsweise mildem Tadel referiert und beurteilt:
»Der Glückseligkeitstrieb ist dem Menschen eingeboren und muß daher die Grundlage aller Moral bilden. Aber der Glückseligkeitstrieb erfährt eine doppelte Korrektur. Erstens durch die natürlichen Folgen unserer Handlungen: Auf den Rausch folgt der Katzenjammer, auf den gewohnheitsmäßigen Exzeß die Krankheit. Zweitens durch ihre gesellschaftlichen Folgen: Respektieren wir nicht den gleichen Glückseligkeitstrieb der andern, so wehren sie sich und stören unseren eigenen Glückseligkeitstrieb. (…) Rationelle Selbstbeschränkung in Beziehung auf uns selbst und Liebe – immer wieder Liebe! – im Verkehr mit andern sind also die Grundregeln der Feuerbachschen Moral, aus denen alle andern sich ableiten. Und weder die geistvollsten Ausführungen Feuerbachs noch die stärksten Lobsprüche Starckes«
– das meint einen zeitgenössischen Feuerbachverteidiger – »können die Dünnheit und Plattheit dieser paar Sätze verdecken.« 92
Falsch, sagt Engels, ist das alles nicht, aber dünn und platt ist es, weil Feuerbach nicht sieht, daß er sein abstraktes Individuum nur immer wieder nach Anlagen (Glückseligkeitstrieb) und höheren Regulativanlagen (Liebe) durchforsten muß, wenn er sich weigert, dialektisch zu denken. Würde er sich nicht geweigert haben, wäre er vielleicht auf Folgendes gekommen:
Wenn die Gesellschaft so verfaßt ist, daß sie die Regulation der Interessen der Einzelnen gegeneinander nicht mehr auf Privatkonkurrenzprinzipien gründet, welche Gewaltverhältnisse in scheinhafte Einzelverantwortung übersetzen, dann fällt die Suche nach dem individuell-innerleiblichen Regulativ, das nun mal nie so eingeboren sein kann wie die protosozialen Bestrebungen, die ein verkehrtes Soziales zu asozialen macht, einfach weg. Daß alle aus dem Spiel das meistmögliche für sich herausschlagen wollen, richtet keine Schäden mehr an, wenn das Spiel selbst so eingerichtet ist, daß sie das ohne andere gar nicht können (im Schatzkästlein der Emanzipationstheorie liegt dazu eine Formel, die man nicht oft genug wiederholen kann, nämlich daß die Gesellschaft so einzurichten sei, daß die freie Entfaltung der Einzelnen Bedingung für die freie Entfaltung aller wird) – dazu, einem Denken, das sich in feuerbachischen Ontologisierungen verheddert hat, diesen Punkt einsichtig zu machen, bedarf es übrigens nicht zwingend marxianischer Lehrsätze; andere Herangehensweisen wie etwa manches, das in feministischer Forschung und Programmatik über die Interpenetration des sogenannten Privaten und des sogenannten Politischen aufbewahrt ist, leistet den Dienst möglicherweise sogar besser. Nicht einzusehen, daß der Ansatzpunkt für Feuerbachs sympathische Ziele jedenfalls nicht im abstrakten Menschenhirn oder -herzen zu suchen ist, sondern im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, führt jedenfalls zu nichts Nützlicherem als Appellen oder gleich Quietismus – in den Worten von Engels: »Damit ist denn der letzte Rest ihres revolutionären Charakters aus der Philosophie verschwunden, und es bleibt nur die alte Leier: Liebet euch untereinander, fallt euch in die Arme ohne Unterschied des Geschlechts und des Standes.« 93
Der Seufzer ist nachvollziehbar; immerhin war Engels dennoch der Ansicht, Feuerbachs Schriften seien geeignet, einige der Verwüstungen zu konterkarieren, die der Idealismus bei linken Hegelschülern hinterlassen hatte (die rechten interessierten ihn und Marx ohnehin nicht). So mochten sie zwar kritikwürdig sein, aber verdienstvoll – ganz im Gegensatz zu Äußerungen von Leuten, die anthropologische Grillen, wie sie Feuerbachs Rede vom Menschen als solchem entstellten, nicht in der Philosophie, sondern in der politischen Praxis lancierten, abzielend auf die Umwälzung der tatsächlichen Lebensordnungen, auf den Kommunismus. So was gab es, und Marx und Engels gingen dagegen mit der äußersten Vehemenz vor – Auftritt Hermann (nach anderen Quellen: Herrmann) Kriege. Der war ein prominenter Anhänger des sogenannten »wahren Sozialismus«, einer schwärmerischen, aber nicht einflußlosen Strömung aus der Gestationsperiode der deutschsprachigen Arbeiterbewegung. Kriege, von Beruf Publizist, machte als Emigrant in Amerika schon vor dem Scheitern der 1848er Rebellion als Ideologe jenes
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