Der Implex
gegenseitige Hilfe, die Gerechtigkeit, wirkliche Kommunikation und Schönheit zu schaffen, zu mehren, zu pflegen). Alles ist möglich, wo Menschen einander wahrnehmen lernen: Andrea Dworkin, die den heterosexuellen Geschlechtsverkehr per se als Vergewaltigung verstand, lebte mit einem schwulen Mann zusammen, beide nannten den je anderen »die Liebe meines Lebens« und hatten wohl Recht damit (und sicher jedes Recht dazu). So geht Schönheit. Man mag die historisch wirkliche, also entfremdete Heterosexualität aus heuristischen Gründen an sich als das Urbild aller sexuellen Machtgefälle und jeglicher struktureller, abstrakter, vermittelter Herrschaft denken und macht damit nichts verkehrt (was die Herrschenden tun, ist immer ein wertvolles Studienobjekt für das Verständnis und die Brechung der Herrschaft). Aber man kann nicht auf eine bestimmte Art lieben – auch nicht »bisexuell«, was immer das sein mag – um das Elend zu überwinden, weil das Elend ganz wesentlich darin besteht, daß irgendwer irgendwem sagt, wie gelebt und geliebt werden soll, statt daß die Leute das selbst herausfinden. 89
3. In gewollter (und mitunter sogar geglückter) Absetzung von unter 1. dargestellten Versuchen, die mit der bürgerlichen Welt aufgekommene romantische Liebe mithilfe der dabei als eine Art Brandbeschleuniger vorgestellten Sexualität über sich hinaus in neue Erfahrungs- und Sozialisierungskonstellationen zu treiben, und unter 2. aufgeführten Strategien, die heteronormativen Ausprägungen sowohl jener Liebe wie der Sexualität in bestimmter Negation aufzuheben, sind in mehrfacher, überdeterminierter Zurückweisung der überkommenen Angebote in den genannten Menüs seit etwa fünfzehn bis höchstens zwanzig Jahren, inspiriert von abermals bohemistischen und popkulturell geprägten Imagines der Androgynität, Transsexualität, Transidentität, verschiedene Überschreitungs- und Aufhebungsideen artikuliert worden, die etwas Künftiges, auf keinen Fall Natürliches, sozial wie technisch zu Implementierendes bestimmen wollen, das sich weder mit dem geerbten Verhalten und Empfinden zufriedengibt noch mit Vorzeichenwechseln, die es, so wird vielfach gemutmaßt, lediglich von einer anderen Seite in fixer Alterität befestigen – die Feldzeichen und Stichworte dieser vielköpfigen, mit oftmals geradezu eschatologisch-chiliastischem Eifer auftretenden Lebensreform-Bewegung sind Legion, man führt exotische Namen und setzt dabei meist am naturbestimmten, also vor allem am weiblichen Geschlecht an, das es zuallererst zu transzendieren gelte: »Cyborg« (Donna Haraway), »Neural Gender Reassignment« (Greg Egan), »Rethinking Woman« (Avital Ronell), »Gender Networking« (Sadie Plant), »Gynoid« (Ken MacLeod), »Replica/Robots« (Terre Thaemlitz), »Spansexualism« (Connie Lingus), »Sexual Erosion« (Gwyneth Jones). Kritisch versetzt dazu, daß solche Strategien die jeweilige vorgeschlagene Subjektivität vor allem als künstliche und autonome (d.h. emphatisch nicht-heteronome) hochhalten, ist allerdings auf die Parallele zwischen der Einzigartigkeit des Liebessubjekts dieser Zukünfte einerseits und neoliberalen Flexibilitäts-, Individualisierungs-, Desolidarisierungs- und Vereinzelungsimperativen hingewiesen worden; der Verdacht, daß es sich bei diesen Projekten um technizistisch ausgeschmückte Importe ultrakapitalistischer »Eigenverantwortungsrhetoriken« ins Liebesdenken und ins Körperempfinden handeln könnte, brachte in jüngster Zeit Anstrengungen hervor, statt von Überschreitung zu positiven neuen Formen das Hauptaugenmerk lieber auf die (sich den Fallen der Affirmation, auch der des Noch-nie-Dagewesenen, entziehenden) Negation des falschen (in Hexis und Praxis) Bestehenden zu konzentrieren, wie das etwa in Beatriz Preciados »kontrasexuellem Manifest« geschieht oder von Antke Engel mit dem Begriff der VerUneindeutigung von Geschlechts- und Sexualbildern umrissen wird:
»Die VerUneindeutigung läßt sich (…) abgrenzen von der medial popularisierten Vorstellung, daß Geschlecht und Sexualität Felder individueller Gestaltung und fortwährender Umgestaltung im Sinne eines konsumlogisch bestimmten life-Styles sind, ebenso wie von Normen der Flexibilität und der fortwährenden Selbstmobilisierung. Wenn genau darin die kontextuell vorherrschende Norm liegt, dann ist dort auch der Ort, einzugreifen.« 90
Daß das alles alte Hüte seien, nämlich einerseits technoszientistisch aufgebrezelte Utopien, die das
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