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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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körperlich für reine Zärtlichkeit und viel zu zärtlich für reine Begierde.
    ›Weißt du, was mir am meisten daran gefällt, wenn wir zusammen sind?‹ fragte er.
    ›Nein.‹
    ›Unser gemeinsamer Diebstahl.‹ Prabir zögerte, weil er befürchtete, er könnte zu dumm klingen. Aber wenn er jetzt nicht darüber sprechen konnte, wann dann? ›Sex ist wie ein Diamant, der in einem Schlachthaus geschmiedet wurde. Drei Milliarden Jahre der unbewußten Reproduktion. In der nächsten halben Milliarde die ungeplante Entstehung von Tieren, die nicht nur ihrem Trieb folgten, wenn sie sich paarten, sondern die Spaß daran hatten – und schließlich wußten, daß sie Spaß hatten. In Millionen Jahren verfeinerten sie diese Empfindung und machten sie zur vollkommensten Sache der Welt. Und all das nur, weil es einfach funktionierte. Und nur weil dadurch immer wieder dasselbe hervorgebracht wurde.‹ Er griff nach Felix’ Penis und schloß seine Hand darum. ›Jeder kann sich diesen Diamanten nehmen; es ist so einfach. Aber er ist für uns kein Köder, keine Bestechung. Wir haben den Schatz gestohlen, wir haben ihn losgerissen. Wir können damit tun, was wir wollen.‹« 102
     
    »Was wir wollen«: nicht beliebig, sondern unter Regeln, die in Milliarden Jahren zu sich kamen, die wir deshalb reflektieren, aber auch brechen dürfen, weil wir Augenblickswesen sind, die den Milliarden Jahren keine Rechenschaft schulden, und weil nicht die Regeln die Liebe machen, sondern die Liebe die Regeln macht, denen sie sich freiwillig unterwirft.
V.
Katechismus, Turlupiner, Hipparchia: Diskursküsse
    Was für Regeln macht die Liebe also?
    Was darf man, wenn sie denn ein gemeinsamer Diebstahl einer Prämie auf etwas ist, das die Natur aus ganz anderen Ursachen hervorgebracht hat, von ihr erwarten? Was darf man glauben? Könnte sie reden, sie würde sagen: Glaub du, was immer du von mir glaubst, ohne alle Ansprüche darauf, du wärst durch deinen Glauben etwas Besonderes, aber erlebe, daß du es bist. Glaub an das, was dich klüger macht, geduldiger, verständnisvoller, glaub an Gnade, nicht an Strafe. Glaub die großen Worte nicht, glaub lieber die kleinen Ereignisse – halt dich nicht krampfhaft fest daran, wenn dich wer »den einen, meinen« nennt, sondern sieh lieber zu, wer für dich da ist. Glaub lieber nicht an Versicherungen, jemand sei dir jenseitig und überirdisch verbunden, sondern an die oder den, die oder der deine Geschichten so gern hören will wie du ihre oder seine. Glaub nicht an die heroische Behauptung, man werde um dich kämpfen oder für dich, sondern glaub an diejenigen, die mit dir lachen.
    Der Katechismus, wenn es ihn gäbe, spricht persönlich, sagt du zu jemandem, ist vor allem gerichtet gegen Indifferenz. Promiskuität als abstraktes Ideal also hätte, ganz wie Adorno sagt, da sowenig Platz wie »Zucht« in jedem Wortsinn. Für die allgemeine Auffassung davon, was die Modernen, die Aufgeklärten mit der Unterscheidung zwischen öffentlichem Leben einerseits und privatem andererseits anfangen sollen. Wie die Aufklärung das Verschwinden etwa tribalistischer und patriarchischer Einrichtungen im Staat begrüßt, so warnt sie vor dem Verschwinden der Staatsverhältnisse in jeder Sorte eines neu-urgesellschaftlichen Darwinismus, der Abschaffung der Differenz von Sitten und Leidenschaften als Kollabieren der ersteren in die letzteren. Sie erhofft sich Gutes allein von der Versittlichung der Subjekte, nicht von der Subjektivierung der Sitten, von der Beseelung der Lust mit Philosophie, aber nicht von der Auflösung der Philosophie in Lüste – so kann denn, quod licet iovi, einer wie Pierre Bayle die Turlupiner in seinem Wörterbuch, weil sie den Geist im Rausch ersäufen, für genau dieselben Handlungen schelten, sie seien unerträglich, die derselbe Aufklärer bei der Philosophin Hipparchia interessant und erörternswert findet – die Turlupiner, welche »das Werk des Fleisches am hellichten Tage und vor aller Augen ausführten«, trifft der Bann: »Trotz dieser ruchlosen Ausschweifungen gaben sie sich sehr fromm und andächtig, um sich besser bei den Frauen einzuschmeicheln und sie dann in die Netze ihrer unkeuschen Begierden zu ziehen«, woran man die Schande »aller Sekten, die sich durch eine paradoxe Moral hervortun wollen« erkennt und ihre »Vision der Erleuchteten« verächtlich zu finden lernt 103 . Sie begründen nicht, was sie tun, denn sie wollen das Gesellschaftliche, den Raum des logon didonai

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