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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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für literaturfähig hielt, ob das Genre der Hurendarstellung und Zuhälterdichtung von Werken wie dem 1619 veröffentlichten Le parfaict macquereau suivant la court ( Der höfische Zuhälter ) geformt wird, das einer Frau namens Magdalene gewidmet ist, von der man erfährt, sie sei früher freigiebig mit den Genüssen gewesen, nehme jetzt aber Gebühren und solle sich doch lieber wieder herschenken – diese Literatur, in der Gleichgeschlechtliches, Hosenrollen auf dem Theater, Ausloten neuer Sehnsüchte und Freilegen vorhandener Mehrdeutigkeiten in antiken Quellen (Racines Britannicus , Corneilles Polyeucte ), ist wie von Weinranken von Anekdoten umringelt, die das Sichändern der Mores fast noch besser illustrieren als die Texte selbst: Die Geliebte des Autors Roger de Bussy-Rabutin leiht das Manuskript seiner Histoire amoureuse des Gaules , in der höfische Unzüchtigkeiten erzählt werden, einer Freundin, und die sorgt dafür, daß das Buch ohne Wissen des Verfassers gedruckt wird, wofür er ein Jahr lang in der Bastille schmachten muß.
    Die vielfältige Bewegung, die in die Epoche gekommen ist, bündelt der Roman, dessen große Zeit jetzt gekommen ist: Michel Millot wird mit zwei Werken der Gattung, der Mädchenschule von 1655 und der Venus im Kloster von 1683, die den Genres des Pfaffen- und Sittenspiegels angehören, zum Pionier der modernen Pornografie, Nicolas Chorier beerbt ihn in den achtziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts mit Skandalbänden über lesbische Liebe und die Prostitution in Amsterdam, priapische Oden, Dekadenzhistorien und Ausschweifungschoreographien von de Sade bis zu Mirabeaus Erotika Biblion und Hic et Hec bereiten, als wäre der von langer, feiner bürgerlicher Hand geplant, bereits den Symbolismus vor und spielen an allen Fronten mit den Differenzen des Natürlichen und Raffinierten, bei denen die Geschlechterrollenbrüche und -verfeinerungen wie selbstverständlich auch von allerlei Rassen- und Kulturphantasmen durchdrungen und überlagert sind (der okzidentale Orientalismus hat, nicht nur über die Rezeptionsgeschichte von Tausendundeine Nacht , weitverzweigte sinnliche Wurzeln, von Montesquieus persischen Briefen bis zu den geschwätzigen Kleinoden Diderots). Die führende Rolle der französischen Literatur auf diesem Gebiet hängt mit den Besonderheiten des dortigen Absolutismus zusammen, nämlich der höfischen Laborbedingungen, unter denen anders als irgendwo sonst in Europa die großen Umwälzungsdynamiken tatsächlich auf Kammerspieldichte zusammengedrängt erlebt werden und von den ersten Schriftstellern ihrer Zeit so notiert werden konnten, daß die zweiten bis zehnten davon genügend heißen Wind bekamen: Die Philosophie schob sich, so gepreßt, in die Politik und umgekehrt, und Erotik war für das, was da ineinandergriff, nicht der schlechteste Name (die Ungezogenheiten anderer in derselben Ära Gestalt annehmender Nationalliteraturen waren nicht nur angestrengter – wenn Puritaner über die Stränge schlagen, wird es mühsam –, sondern vor allem schmalspuriger; die geheime Korrespondenz der beiden Seiten der Entfremdungsmedaille läßt sich bei paralleler Kontemplation von Kants berühmter Definition der Ehe als eines Vertrags zur wechselseitigen Nutzung der Geschlechtsorgane einerseits und britischer Protopornographie andererseits recht deutlich spüren).
    Eine französische Literatur, wenngleich eine ganz andere, ist es auch, in der eine ganz bestimmte Schule der Schriftauslegung sich ein gutes Vierteljahrtausend nach dem in Rede stehenden Geschichtsabschnitt eine Lehre herausgebildet hat, die heute die nahezu unangefochtene Deutungshoheit über diese Phänomene der Emerging Markets der modernen Liebe und Sinnlichkeit innehat: diejenige Foucaults nämlich – wir hatten schon mehrfach Gelegenheit, darauf hinzuweisen, und möchten jetzt ein Caveat anbringen, das, alles zu Ändernde jeweils geändert, auch auf alle anderen Verwendungen historisch-literarischer Quellen zur Veranschaulichung unseres Argument- und Erzählgangs übertragen werden sollte. Es ist Michel Foucault bekanntlich gelungen, in seinen Beiträgen zur von ihm selbst annähernd im Alleingang geschaffenen »Wissensarchäologie« den Gedanken zu propagieren und zu erproben, Rede- und Schriftkomplexe wie die Wissenschaft vom Menschen , der medizinische, psychiatrische, kriminologische und punitive Diskurs der modernen Gesellschaften seien über die Bestimmungen von Fragestellungen und Begriffen

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