Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
Vom Netzwerk:
wahrgemachter Schwindel, gespielte Wahrheit, wahres Spiel (»Und meine Liebe ist Theater«, singt Jens Friebe), eine Transzendenz, die man nur im Diesseits erleben kann, eine im konkreten Moment des Spiegelns von Spiegeln erzeugte Unendlichkeit des Vermögens – mit Luhmann:
    »Jeder Versuch, den anderen zu ›durchschauen‹, führt ins Bodenlose, in jene Einheit von wahr und falsch, von aufrichtig und unaufrichtig, die sich allen Kriterien entzieht. Deshalb kann nicht alles gesagt werden. Transparenz gibt es nur in der Beziehung von System und System, sozusagen anhand der Differenz von System und Umwelt, die das System konstituiert. Liebe kann diese Transparenz nur selbst sein.« 101
     
    Diese Denkvoraussetzungen, diese reflexive Relationalität wurde nötig, weil das Unreflektierte und Spontane des Erlebens, auf das die Sehnsucht geht, immer einen Abkommpunkt, einen Trittstein, eine Folie brauchen – frei ist man nur gegenüber Gesetzen, nicht gegenüber dem Nichts oder dem Alles. Die Freiheit, die sich die liebende Person gegenüber der Reflexion, die sie voraussetzt, nehmen darf, ist Bedingung und Folge der Gleichheit: Jede Seele kann jede andere Seele zur besonderen erklären und von jeder anderen für sie erklärt werden – was kausal zwingend erlebt wird, ist statistisch Durchschnitt; ein Rechenkunststück, das das Liebesleben ökonomisch auf dem Markt gelernt hat und nirgendwo anders hätte lernen können.
    Das Naturwesen wird erst durch diese Verschränkung des als notwendig Erlebten (Einzelliebe) mit dem unerlebbar Abstrakten (alle haben gleiche Rechte) zum gesellschaftlichen. Das besondere Interesse, das die Liebesutopie im beginnenden wie noch im hochentwickelten bürgerlichen Zeitalter, von Shakespeare bis Goethe, an den Frauen nimmt – Peter Hacks hat bemerkt, bei den Klassikern seien die weiblichen Menschen sämtlich menschenähnlicher geraten als die männlichen –, ist eben darin begründet, daß man in ihnen die schlechthin naturursprünglichen, »biologischeren« Menschen wähnte und mit ihrer Apotheose als schöne Seele sagen will: Wenn selbst die seit Urzeiten als Gebärmaschine aufgefaßte Sorte Mensch zum erotischen Subjekt werden kann, wenn selbst sie, die nie gesprochen hat, jetzt aus vollem Herzen spricht, dann ist die menschliche Freiheit der Tendenz nach wirklich universell, dann mag einmal jede von der Natur anbefohlene Partikularität, Enge, Todesanheimgegebenheit überwunden werden, » and with strange aeons even death may die « – vorausgesetzt, die Interessen (hier: Leidenschaften) werden wirklich ins freie Spiel der Kräfte überführt. Der Gedanke – Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit – hat politisch nie viel Macht erobert, in der Kunst – der sublimsten wie der trivialsten – aber dauerhaft Asyl gefunden; die Ärzte mit ihrem Traum von der Welt, in der alle Menschen Mädchen sind, haben wir schon erwähnt, die sowohl rührendste wie unheimlichste Ausgestaltung dieses Traums ist die Kunst Henry Dargers, der die Welt der Mädchen (inklusive kleiner Phalloi) so obsessiv pretty und zugleich vom Grauen heimgesucht gemalt und bedichtet hat, wie sie sein muß, um das Gegenbild zur vorhandenen abzugeben, in der statt Hübschheit Entfremdung und statt Grauen Fadheit regieren. Man will da raus; man möchte endlich anders feiern (wie Jonathan Richman: »I was dancing in the lesbian bar«).
     
    Der vornehmste Abstand der Sehnsucht zur gesellschaftlich errichteten, aber darin um so naturwüchsigeren Ungleichheit, den das Phantasma träumt, ist theoretisch erreicht in Deleuzes Satz in Proust und die Zeichen von der Homosexualität als der Wahrheit der Liebe, den man, nach Gides kluger Warnung in anderem Zusammenhang, nicht zu schnell verstehen sollte. Greg Egan hat ihn in einer Geschichte geborgen: Zwei wirkliche Menschen, Männer namens Prabir und Felix, tun und denken miteinander ein Wissen über die Interpenetration von Biologie und Poesie, Natur und Gespräch, wie freie Menschen es teilen könnten, in Liebe als reflektierter Widerliebe:
    »Prabirs Hände schweiften ab. Nach einer Weile drehte sich Felix auf den Rücken und zog Prabir an sich. Als sie sich küßten, spürte Prabir eine Wärme, die sich wie flüssiges Feuer in seinen Adern ausbreitete, und sein Brustkorb schien zusammengepreßt zu werden, als hätte ihm ein erstaunlicher Anblick den Atem geraubt. Das war es, wonach er strebte – mehr als nach dem eigentlichen Sex. Er hatte dafür kein Wort; es war viel zu

Weitere Kostenlose Bücher