Der Implex
Aufrechte, im Maße ihrer Aufrichtigkeit dann eben auch manchmal ungünstig rigiden Hardcore-Moralisten der Band NoMeansNo).
Jochen Distelmeyers Penismonolog von der 1992er Blumfeld-Platte Ich-Maschine (»In dem Bett aus dem ich herkam / liegt es sich immer noch unbequem und einsam«) hat seine eigentliche Größe darin, daß er tatsächlich alles sagt, was an dem NoMeansNo-Zitat richtig ist, ohne irgend etwas von dem mitzusagen, was daran falsch ist: Sex unter Entfremdeten ist grauenhaft, aber ihn nicht zu wollen, löst nichts, denn eigentlich handelt Sex von etwas, das nicht Entfremdung sein will.
Diejenigen Kulturindustrie- und Lebensstiloppositionellen jedenfalls, die, angewidert vom oben erläuterten Schicksal der »sexuellen Revolution«, die betreffenden Sehnsüchte in jeder Form aus ihrem Träumen, ihrem Sound schneiden wollen und statt dessen die für alle Musik und Renitenz nötige Dynamik aus der Aggression statt der Erotik ziehen und diese Aggression zusätzlich damit rechtfertigen, daß sie Ausdruck angemessenen Protests wider die allgemeine Erniedrigung der körperlichen und sonstigen Liebe in menschenunwürdigen Verhältnissen sei, wissen etwas, das man gerade in den populärsten Segmenten der Kulturindustrie nur allzugern übersieht oder tongue in cheek wegblinzelt: Ausgestellte Sünde, explizite Transgression ist ebensogut als Lockmittel fürs Mitmachen im allgemeinen Verwertungsbordell einsetzbar wie der Gestus der Aufklärung als Beruhigungsmittel für von der Unberechenbarkeit der menschlichen Liebesweisen verunsicherte Lebensreformer aus der liebestöterischen akademischen Ecke.
IV.
Nenn Liebster mich, so bin ich neu getauft: Romy und Julio
Daß die Kunst und die Philosophie, sogar das bürgerliche Eherecht von der liebebedürftigen Seele seit Beginn der bürgerlichen Epoche mit erneuerter Emphase verlangten, was auch in anderen Erscheinungsweisen des Patriarchats von ihr erfordert war, nämlich, daß sie nur die einzelne Gegenüberseele lieben solle und sonst niemanden auf der Welt, kann nur eine völlig banale und instinktlose Befreiungslehre als bloß konventionelle Fessel auffassen, die irgendein geschichtlicher Sündenfall über das (da wissen Ethologie und Ethnologie Bescheid) definitiv nicht monogame menschliche Triebleben gestülpt haben. Die Plattheit will nicht sehen, daß Romeo und Julia, ganz unabhängig von ihren jeweiligen Geschlechtern und dem sexuellen Dimorphismus überhaupt, allen vorbürgerlichen Minnebildern tatsächlich überlegen sind. Denn hinter dem Bild, daß ein Wesen nur ein anderes liebt, steckt heimlich die größte (und tragischste) Errungenschaft des bürgerlichen Widerwillens gegen das Naturwüchsige: die Selbsternstnahme des nicht nur wünschenden, sondern auch planenden und arbeitenden Wesens. Man will als Einzelseele in ihrer haecceitas geliebt werden, als genau diese, nicht irgendeine, man will das Angenommenwerden erleben als Ablehnung der Beliebigkeit des abstrakten Moments »Das Gemeinwesen verbindet alle mit allen« erleben können.
Adornos kluge und tiefe Sätze über Treue in den Minima Moralia schmiegt sich wie die meisten wertvollsten Gedanken dieses Aufklärungskritikers eng an die Aufklärung, genauer: an das, was ihre Verwirklicher, die politische Generation Robespierres, unter »Tugend« verstanden:
»Jene aber, die, unterm Schein der unreflektierten Spontaneität und stolz auf die vorgebliche Aufrichtigkeit, sich ganz und gar dem überläßt, was sie für die Stimme des Herzens hält, und wegläuft, sobald sie jene Stimme nicht mehr zu vernehmen meint, ist in solcher souveränen Unabhängigkeit gerade das Werkzeug der Gesellschaft. Passiv, ohne es zu wissen, registriert sie die Zahlen, die in der Roulette der Interessen je herauskommen. Indem sie den Geliebten verrät, verrät sie sich selber. Der Befehl zur Treue, den die Gesellschaft erteilt, ist Kittel zur Unfreiheit, aber nur durch Treue vollbringt Freiheit Insubordination gegen den Befehl der Gesellschaft.« 100
Treue ist hier nicht Ausschließlichkeit, sondern negativ (und symmetrisch) definiert als: nicht wegrennen, wenn es anstrengend wird.
Die bürgerlich emanzipierte Liebe und Treue, die Adorno lobt, sind reflektierte Zustände, nicht spontane – reflektiert, das heißt: mutual, Liebe spiegelt Widerliebe und ist damit auch »durchdacht«, das heißt fähig zu Ritual, Inszenierung, codierter (statt unmarked) Intensität, also nicht mehr »vorgebliche Aufrichtigkeit«, sondern
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