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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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nicht nur für die Erforschung, sondern auch für die Konstitution ihrer Gegenstände verantwortlich. Was auf den ersten Blick nach unschuldigem Nominalismus aussieht – selbstverständlich gibt es eine Menge Wissensgebiete, deren Aufgabe nicht nur darin besteht, zu artikulieren, wie irgendein X funktioniert, sondern auch darin, zu definieren, was überhaupt als X gelten darf. Der einem Stromstoß aus Kurzschluß vergleichbare Schockeffekt aber, der eintritt, wenn man eine Behauptung aufstellt wie »Die Masturbationshandbücher der hohen Neuzeit haben den Gegenstand Masturbation überhaupt erst geschaffen« (wie wir das etwa bei Thomas Laqueur in Solitary Sex: A Cultural History of Masturbation von 2006 lesen können) oder »Vor den Wissenschaften vom Menschen gab es den Menschen nicht, und wenn sie einmal ihre Geltungsansprüche abgeben müssen, wird es ihn nicht mehr geben«, macht aus jener working definition der Wissenschaften plötzlich eine Art magischen Akt, insofern die Unbestimmtheit dessen, was in dem Satz »Ein bestimmtes Aussagesystem macht die Dinge, über die es Aussagen trifft« mit dem Verb »macht« gemeint sein könnte, leicht dazu verführt, eine Art Schöpfung aus dem Nichts zu imaginieren. Die liegt jemandem, der so klug ist wie Foucault, selbstverständlich völlig fern, er weiß selbstverständlich (und sagt es oft genug), daß soziale Praktiken aus Praktiken gemacht sind, nicht aus Wörtern – liest man aber etwa die Texte der rund 250 Gelehrten, die sich an der 2006 erschienenen, von Gaetan Brulotte und John Phillips herausgegebenen zweibändigen Großenzyklopädie der erotischen Literatur beteiligt haben, staunt man doch einigermaßen über den Konsens, der das Vorkommen von Aktivitäten, die ohne biologisch vorgegebene Reizzonen am menschlichen Körper nicht gewagt würden und von ihnen, sobald entsprechend Muße und die Möglichkeit einvernehmlicher oder erzwungener Teilhabe daran gegeben sind, zumindest nahelegt werden, in suggestiver Weise an die Existenz einer Literatur bindet, die von diesen Aktivitäten handelt, sie feiert oder verdammt.
     
    Nichts wäre nun sinnloser und größere Zeitverschwendung, als an dieser Stelle gegen die Schule, deren Hypothese und Hypostase wir eben mit Stichworten umrissen haben, einen indignierten Idealismusverdacht auszusprechen und ihren Propositionen gegenüber auf irgendeiner sich pausbäckig in die Brust werfenden materialistischen Dogmatik zu bestehen, wonach zuerst gevögelt und dann darüber gedichtet wird; daß es nicht nur in eroticis mehr Phantasie als Wirklichkeit gibt, möchten wir ungern bestreiten müssen. Anstatt nun also die Distanz zur Redeweise von der »Erschaffung« der Masturbation, Homosexualität oder sonstiger schöner Dinge durch die einschlägigen Diskurse darin zu suchen, hier irgendwelche nackten Körper vom Kopf auf die Füße stellen zu wollen, weisen wir bloß vorsichtig auf zwei Dinge hin: 1. Die Lehre, daß all das, wovon die besprochene Literatur handelt, durch sie in die Welt gekommen ist, lebt von der Zweideutigkeit dessen, was da »Welt« heißt, so sehr wie der Satz, sie seien diskursiv gemacht worden, von der Zweideutigkeit des Sinns von »machen«. Die Welt, mit der wir es in unseren Büchern zu tun haben, ist notwendig eine Bücherwelt; Nichtsprachliches, über das man redet, wird dadurch sprachlich – die Ansicht ist also unwiderlegbar (wir müßten ja auf die nackten qualia zeigen können, würden wir sie zurückweisen können) und insofern aller Gegenskepsis so unbekömmlich wie die Erkenntnistheorie des Bischofs Berkeley. Ob Poppers Gebot, prinzipiell unfalsifizierbare Sätze könnten niemals wissenschaftliche Geltung beanspruchen, in jedem Fall stimmt, lassen wir dahingestellt – das Gebot selbst wäre dann jedenfalls hors concours der von Popper eingeforderten Wissenschaftlichkeit, denn es läßt sich kein Fall denken, der es widerlegen würde, nur einer, der es bricht – für technische Sätze aber in dem Sinn, in dem wir im vorangegangenen Kapitel »Technik« bestimmt haben, übernehmen wir es als Arbeitseinschränkung gern, und andere als technische Aussagen in genau diesem Sinn wollen wir in diesem Buch nicht treffen (es ist, auf die Art und Weise, die wir im selben Kapitel dargelegt haben, eine Maschine mit einem spezifischen Zweck). Wir können die These, daß alles, wovon die besprochene Literatur handelt, durch sie in die Welt gekommen ist, also unabhängig davon, ob sie irgendeine Bedeutung

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