Der Implex
im Ernst niemand gekümmert habe, so beerbt er damit eine gar nicht unebene oder einfältige rechte Tradition, für die Schmitts Held, der antiliberale Dezisionist und Cäsarist Donoso Cortés, die kurze Formel gefunden hat, das Prinzip der Diskussion sei dem politischen Menschen, der sich, weil sonst keine Politik möglich wäre, ebensosehr für Dinge begeistern wie zwischen ihnen entscheiden könne, schlicht unwürdig, da ungöttlich, der Transzendenz des Gegebenen unfähig, die doch allein den Eingriff in dieses rechtfertigen könne – aus Diskussionen gehe keine Unfehlbarkeit hervor, aber nur, wer von dieser als von etwas ausgehe, das seine Sache für sich gepachtet habe, sei bereit, sie gegen den Widerstand anderer nötigenfalls durchzusetzen.
So kühl wie Schmitt, so heißherzig wie Cortés findet man die Meinung, es sei nichts mit der Meinungsfreiheit, inzwischen eher selten geäußert; eine gefälligere Form nimmt sie inzwischen meist in mehr oder weniger historistischen Dekadenzklagen etwa des Tenors an, es möchte ja in Anbetracht von Kerkern, Halseisen und Scheiterhaufen einst heldenhaft gewesen sein, die moderne Sorte Öffentlichkeit herzustellen, sei aber im Laufe der Zeit doch reichlich läppisch geworden, sich in ihr zu äußern. Die Position lebt von nicht wenigen Evidenzen. Meldet heute beispielsweise eine Website, ein Weltraumteleskop habe einen Planeten (er heißt inzwischen WASP-12b) entdeckt, auf dem es ersten spektroskopischen Untersuchungen zufolge mehr Kohlenstoff als Wasserstoff gebe, und man halte für möglich, daß dieser Planet einen Kern aus Diamant besitze, dann findet man im Kommentarfeld dazu das späte Schicksal der Meinungsfreiheit in all seinem fragwürdigen Glanz, das heißt den Stumpfsinn aller heute öffentlichkeitsfähigen Phantasien, Witze, Sehnsüchte und engen Vorstellungsradien: »Vielleicht schafft dann irgendeine Supermacht eine Rakete dort hin, um wissenschaftlich getarnt Tonnen von Diamant dort abzuholen und somit ihre unerschöpfliche Gier nach Reichtum zu befriedigen«, »Da kommt man doch sowieso nicht ran, weil es so weit weg ist«, »Man könnte, um eine Inflation zu verhindern, das aufkaufen und geheimhalten«, »Dann wissen wir ja schon jetzt, wo die nächste Fußball-WM stattfinden wird« – und so weiter, durch in der ersten Stunde ab Freistellung der Meldung bereits ein Dutzend Äußerungen dieser Sorte, die als ernst gemeinte schrecklich sind und als lustige grauenhaft, weil sie von nichts mehr handeln, das jenseits des trostlosen Horizonts der Geldverdienerei, der dieser abgerungenen Freizeitsoße, kurz den ärmsten Banalitäten der beiden von Professor Rorty ausdrücklich erlaubten Menschengesichtskreise »allgemeines Mitmachen« und »individuelle Selbstverwirklichung« liegt.
Macht man sich klar, daß die letzten aufrechten Gesinnungs- (statt bloß Wirtschafts-) Liberalen der Gegenwart, die sich etwa für das konkrete Recht aufs Verfertigen und In-Umlauf-Bringen von Mohammed-Karikaturen oder den abstrakten »herrschaftsfreien Diskurs« in die Bresche werfen, eigentlich bloß den Cordon sichern, der um solches (im Internet tatsächlich besser als je irgendwo sonst aufgehobenes) Gebrabbel »kindischer Rentner« (Wolfgang Pohrt), lebendiger Leichen aller Altersstufen gezogen ist, damit es nicht in den Abgrund unverständlicher Privatsprachen stürzt, dann sieht die Meinungsfreiheit in der Tat so alt aus, wie de Maîstre, Burke, Cortés, Schmitt und tutti quanti sie immer schon fanden.
Den von diesem postulierten Gegensatz, den auf der einen Seite die unfehlbare, unverlierbare Gewißheit, auf der andern die unabschließbare, unentscheidbare Debatte markiert, nehmen die nachaufgeklärten Bürger von Popper über Habermas und Derrida bis Rorty widerspruchslos an und wählen dann die zweite Alternative. Die »offene Gesellschaft« Poppers vertrüge aber auch dann keine Gewißheiten, wenn diese erlangbar wären; sie gar nicht erst zu suchen, ist damit gleichsam ein instrumentelles Erfordernis ihrer operativen Selbstregulierung, was zweifellos schöner klingt als das nackte »für die Demokratie, die Gerechtigkeit, die Solidarität verzichten wir nötigenfalls auch auf die Wahrheit«, das die illiberale Rechte ihren debattenfreundlichen Feinden unterstellt und zu dem sich einstweilen nur wenige radikale Antiradikale wie Rorty offen bekennen; wobei selbst dieser lieber sagt, er wolle den Begriff der Wahrheit loswerden als diese selbst – mit der
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