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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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es existiere irgendwo da draußen, sondern gerade auch über die eigenen Empfindungen und Denkereignisse irren kann, ganz anders, als Descartes sich das vorstellen wollte – das liegt zunächst einmal daran, daß auch »ich« und »mein Denken« jeweils etwas anderes sind als die Empfindungen und Gedanken selbst, die von mir und meinem Denken handeln – der Mensch, von dem ein Irrer meint, er sei Napoleon, wird sozusagen im Vollzug dieses Meinens ein Gegenstand der »Außenwelt«, nämlich des anderen eines Gedankens, der ihn denkt, zunächst nicht anders, als wenn derselbe Irre die Chefärztin oder den Krankenpfleger für Napoleon hielte. Ist das so, dann lassen sich Irrtümer bis tief in die Empfindungsstruktur denken: Verzweifelte können meinen, sie haßten die grünen Männchen, die ihnen hinterherjagen, und sich dabei doch furchtbar täuschen, weil es diese grünen Männchen nicht gibt. Man kann sich alles einreden, auch daß man jemanden mag, dem man niemals etwas Gutes tut, weil man es beispielsweise nicht erträgt, sich klarzumachen, daß dieser Mensch einem völlig gleichgültig ist (das mag zum Beispiel der Fall sein, wenn man in dessen Schuld steht und das nicht wahrhaben will).
    Daß die Lügnerin etwas anderes sagt als das, was sie glaubt, ist vor allem aber selbst wieder entweder ein wahrer Sachverhalt oder ein unwahrer, den aber erstens nicht nur sie selbst aufklären kann, sondern etwa auch jemand, der Tagebuchspuren oder andere greifbare Hinweise findet (sonst wüßte man von dergleichen gar nichts – gäbe es Qualia, die nur innerpsychisch wahrgenommen und nicht auch kommuniziert werden können, so lohnte es sich jedenfalls auch für Rortyaner nicht, von diesen zu reden und zu schreiben) und der zweitens interessanterweise Rorty dazu zwingt, als einzigen denkbaren moralischen Verstoß in der Debatte nach Eliminierung aller für ihn nicht zulässigen Wahrheitserfordernisse nun wieder genau die Sorte Gedankenverbrechen anzuklagen, hinter der auch die vorbürgerliche Gewissensprüferei etwa der Inquisition her war – nicht »Wie ist es deiner Ansicht nach wirklich?«, sondern »Was glaubst du?« wird zum Schlüssel der Diskussion, während Voltaire und Diderot das erstens allen Menschen je selbst überlassen wollten und zweitens nur daran interessiert waren, daß diese Menschen jedenfalls alles sagen dürfen, aber nichts Bestimmtes meinen und glauben müssen. Wichtiger noch ist, daß dieses Problem wiederum nur huckepack reitet auf dem viel größeren, daß einige der schlimmsten und folgenreichsten Unwahrheiten im Privaten (wer jemals versucht hat, sich mit einem Junkie auf irgendeine Abmachung einzulassen, weiß Bescheid) wie im öffentlich Geschichtswirksamen (Heinrich Himmler etwa war von der Realität der jüdischen Weltverschwörung offenbar hinreichend überzeugt, bis in die letzten Kriegswochen Hoffnung auf Verhandlungen mit jüdischen Hilfsorganisationen zu setzen, bei denen er Juden, die seinen Vernichtungsschrecken überlebt hatten, als Geiseln verwenden wollte, weil er glaubte, auf diese Weise die seiner Ansicht nach jüdisch gesteuerte amerikanische Regierung und überhaupt die Alliierten zu seinen Gunsten beeinflussen zu können) von denen durchaus geglaubt werden, die damit größten Schaden anrichten. Alles das verbleibt in der Binnenlogik von Argumenten, die man pragmatistisch nennen könnte; eine philosophisch anspruchsvollere Kritik, als wir sie hier leisten wollen und können, die diesen Rahmen und seine Sollbruchstellen selbst zum Thema macht, findet man verstreut bei Davidson, zu großer Klarheit gebündelt aber insbesondere bei Bernard Williams.
    Die liberale Ironikerin, die doch nichts anderes möchte, als die Lizenz, welche die Aufklärung den Meinungen gibt, großzügig auszuweiten, insofern bei ihr selbst noch die Wahrheitsprüfung jetzt wegfallen und das Spiel der Meinungen endgültig ein in jeder Hinsicht freies werden soll, endet unversehens als Gedankenpolizistin – wie kommt man da raus?
III.
Wie man da rauskommt: Richterstühle
    Man kommt nicht raus, und deshalb empfiehlt es sich, gar nicht erst hineinzugehen.
    Das ist weniger flapsig gedacht, als es klingt.
    Man sollte die Frage, ob Wahrheit überhaupt möglich sei, anders als die sehr viel fruchtbarere, wie man sich ihr nähern solle, einfach deshalb nicht fragen, weil in dem Moment, in dem man das tut, schon etwas schiefgegangen ist, was einen von allen nützlichen Verwendungsweisen des Wahrheitsbegriffs

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