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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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verblüffenden Konsequenz, daß er sich im Streit mit denen, die wie Donald Davidson oder James Conant den Wahrheitsbegriff für nicht allein philosophisch, sondern auch politisch lebensnotwendig erachten, plötzlich dazu genötigt sieht, einen Unterschied zwischen truth und truthfulness zu machen, also zwischen »Wahrheit« und »Wahrhaftigkeit«, wobei erstere unwünschbar und unerreichbar, letztere aber für alle, die an Debatten teilnehmen wollen, bindende ethische Regel sein soll.
     
    Wenn Davidson 110 sagt, daß die Wahrheit zwar im universalienrealistischen Sinn tatsächlich kein Ziel der Forschung sein könne, aber diese (und jede andere Art der Erkenntisgewinnung) auf heuristische Geltung eines in Abhebung von Irrtum, Täuschung und anderen Fehlerquellen zu bestimmenden Wahrheitskriteriums zum Zwecke der Herstellung eines Sogs der Aussagenoptimierung angewiesen ist, kontert Rorty, alle bisherigen Versuche, Wahrheit zu definieren, sei es als Kohärenz (Sätze, die mit allen anderen wahren Sätzen harmonieren, sind wahr), sei es als Korrespondenz (Sätze, die den Zustand der Welt zutreffend beschreiben, sind wahr), sind an verschiedenen Widersprüchen oder unendlichen Regressen zerschellt: Kohärenz hilft nicht weiter, weil man, um sie messen zu können, Metakriterien bräuchte, die wieder auf Korrespondenz verweisen müssen, und Korrespondenztheorien scheitern daran, daß bis jetzt niemand einen Weg gefunden hat zu zeigen, wie man einen Satz, geschweige seine Bestandteile, mit einem Sachverhalt vergleicht (welchem meßbaren Umstand entspricht das »ist« im Satz »Diese Katze ist schwarz«?).
     
    Und wenn ConantRorty vorhält 111 , seine Einladung zur doppelten Buchführung – man habe eben, wie im Kontingenzbuch erläutert, für die öffentliche Sphäre einen anderen Aussagenvalidierungsapparat beizuziehen als in der privaten – erinnere an die mehrerlei Wahrheiten des Orwellschen Inquisitors O’Brien im Roman 1984 und jede derartige Zwei-oder-mehr-Reiche-Lehre öffne notwendig ebenjener Gewalt ein Hintertürchen, die der ums Wohl aller Menschen solidarisch besorgte Rorty aus dem sozialen Leben beseitigt wissen will, weil da, wo es keinen in der Diskussion einzuhaltenden Maßstab gibt, irgendwann diese Gewalt einen setzen wird und muß (die Partei, oder wer immer, bestimmt dann, was wahr ist, und redigiert sogar die Vergangenheit, eben weil anders als durch so ein fiat die Debatte überhaupt keine Weltanschlüsse mehr hat und also auch keine politische mehr ist), dann entgegnet Rorty, die Macht müsse, wo sie solche Befehlswahrheiten ausgibt, notwendig das Gebot nicht der Wahrheit, sondern der Wahrhaftigkeit verletzen, insofern eigentlich alle Menschen wüßten, daß absolute Wahrheit nicht zu haben ist, und also zu Lügnern würden, wo immer sie eine bekanntgäben. Das schwindelerregende Argument – man darf einigermaßen fassungslos fragen: Wovon ist jemand erfüllt, der truthful spricht, wenn es so etwas wie truth gar nicht gibt? – arbeitet mit einer schlauen semantischen Zuspitzung der gängigen Bedeutung des Wortes »Lüge«: Ich werde zum Lügner nicht dann, wenn ich etwas Falsches sage (ich kann mich ja auch ganz unschuldig irren), sondern erst dann, wenn ich etwas sage, das ich nicht glaube. Gibt es Wahrheit als Kohärenz oder Korrespondenz nicht, so mag Wahrhaftigkeit, also daß man im Sinne der Definition eben nicht lügt, gleichwohl Bürgertugend sein, nur müßte Rorty, um diese Trennung zu stabilisieren, dann erklären, wie er »etwas glauben, das man sagt« anders bestimmen will als eben »Aussagen machen, die man für wahr hält«. Einen Satz denken heißt ja immer: ETWAS denken, einen Sachverhalt, der selbst von diesem Satz verschieden ist; die Bezugnahme auf das von Rorty für mit Sätzen nicht vergleichbar erklärte andere leistet sich also nicht erst die Wahrheitstheorie, welche immer das sein mag. In Wirklichkeit hat Rorty die Gewißheit, von der Cortés und die übrigen bewußt reaktionären Köpfe schwärmen, nur cartesisch ins Subjekt hineinverlegt, wenn er Wahrhaftigkeit fordert: Gewiß soll nicht mehr sein, was ich glaube, sondern nur, daß ich etwas glaube, und darauf errichte man dann die Kirche der Wahrhaftigkeit. Wenn aber die Geschichte der Psychologie seit der Aufklärung durch alle ihre hypnotischen, psychoanalytischen, medikamentösen, behavioristischen und statistischen Phasen hindurch eines gezeigt hat, so dies, daß man sich nicht nur über das, wovon man glaubt,

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