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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Geltung nicht relativ zu einem Vernunftstandard, sondern zur Akklamation durch Sendeplatz, Redezeit, Auflagen, citation index et cetera bestimmt wird, dann sind sie nicht minder als Paris Hilton, Dieter Bohlen oder irgendein Casting-Opfer Figuren in dem, was Guy Debord Spektakel nannte. Auch die Spektakelkritik aber wird stumpf, wenn sie sich darauf versteift, das Ausgerufenwerden der Akteurinnen und Akteure durch die Industrie oder ideologische Staatsauxilia, die Passivität des Publikums, kurz den Bühnen- und top-down- Charakter der Veranstaltung für deren Wesen zu nehmen; die Ära der Kommentarspalten zu Netzmeldungen, den Facebook-Seiten und YouTube-Videos hat gezeigt, daß sich das Ganze sehr viel modularer, interaktiver, deregulierter aufziehen läßt, als Debord dachte, die Formel »Partizipation ist das neue Spektakel« (Diedrich Diederichsen) faßt eine Entwicklung zusammen, deren Pionierleistungen von sowohl aufrichtigen wie lokal oft verdienstvollen CB-Funkerinnen, Piratenradiomacherinnen, alternativen Medienwerkstätten, Bespielern des Offenen Kanals im Kabelfernsehen und anderen Kommunikationspartisanen erbracht wurden, als man noch glaubte, auf egalitärem, demokratischem Weg die Macht des Spektakels mittels Subversion, Dissidenz, Negation und anderer »Strategien« (wie ein in den achtziger Jahren beliebtes Modewort das mal übermütige, mal verzweifelte Bemühen nannte) brechen zu können. Daß die öffentliche Rede sich verändern müßte, wenn auch die mitredeten, die von Werbung, parastaatlicher Propaganda, Kulturindustrie und Spektakel bis dahin lediglich angeredet wurden, war ein Gedanke, dem immer schon die Hälfte fehlte: Die falsche Rede mit der richtigen zu supplementieren, kann nur Etappenziel sein; was man sich, bedröhnt, verwirrt, beleidigt und eingeschüchtert vom Unsinn, der den Ton angibt, aber mindestens genausosehr wünscht wie Gehör fürs Eigene, ist doch, daß die Riesenlautsprecher Ruhe geben.
IV.
Der Implex allgemeiner und spezifischer Urheberei
    Begriff und politische Geschichte der Meinungsfreiheit scheinen auf den ersten Blick nicht geeignet, zur Erfüllung des Wunsches, die Lügen mögen keine Macht besitzen, beizutragen. Wo es darum geht, daß alle frei »sur les objets important à leur felicité« sprechen können, wie der Baron d’Holbach und mit ihm gerade die radikalsten Stimmen der Aufklärung forderten, auch wenn dabei Kränkungen und Unsauberkeiten aufträten, scheint an Sanktionen fürs Falsche nicht gedacht. Zwar weist derselbe Autor im Zusammenhang seiner Freiheitsforderung darauf hin, Meinungsträgerinnen würden von einer einmal funktionierenden Öffentlichkeit rasch ausgeschieden, für ihre unrichtigen Anschauungen und ungerechten Behauptungen bestraft, durch Meidung, Entzug von Ehren, Ächtung 112 , aber diese Drohung scheint absichtlich von geringer Strenge, um das Regime, auf das sie abzielt, gegenüber dem von ihm abzulösenden, seinen Foltermitteln und Hinrichtungstechniken positiv hervorzuheben. Von einem Zustand der gesellschaftlichen Anerkennung durch andere freie Menschen ausgeschlossen zu sein, ist indes, wo nicht schmerzhafter, so doch schmachvoller als der Tod, und das ist der Moment, an dem es sich gehört, daran zu erinnern, daß das Meinungsfreiheitsprogramm ja ohnehin an den Narzißmus von Menschen appelliert.
     
    Die Erfinderinnen und Erfinder des Meinungsfreiheitsprojekts setzen voraus, daß die Bürger, für die sie sprechen, sich über mehr und reichere Attribute definieren als nur über den Trieb, das nackte Leben zu erhalten, und argumentieren daher, wenn sie mit Ächtung drohen, ein bißchen wie die Mormonen, bei denen es keine Höllenstrafen, dafür aber mehrere Himmel unterschiedlicher Annehmlichkeits- und Ehrenränge gibt: Das Wissen um den verspielten besseren Status ist für den, der nach dem Ableben in einen minderwertigen Himmel gerät, schlimm genug als Kränkung, man kann sich als mormonischer Theologe daher den Widerspruch sparen, in den gerät, wer einen allgütigen, liebenden und barmherzigen Gott postuliert, der zugleich mit diesen Eigenschaften den Sadismus eines Kerkermeisters auf Ewigkeit aufweist.
     
    Wichtig an der Ehrendrohung ist uns, daß die Vorstellung völliger Straflosigkeit für Aussagen gleich welcher Art der Aufklärung durchaus wesensfremd war, und zwar nicht allein dann, wenn diejenigen, die sie abgeben, aus performativen Gründen, etwa als Beleidigung, Verleumdung, Aufforderung zu Straftaten oder

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