Der Implex
der Aufklärungspartei hier ein Fetisch untergejubelt, den man abwatschen will, wobei man einmal mehr den Sack schlägt und den Esel meint, nämlich den »Richterstuhl der Vernunft« und letztlich stets diese selber – ob Friedrich Schiller in der Katzenjammerstimmung seiner Abhandlung über »Anmuth und Würde« den berühmten generischen Menschen als solchen davor warnt, der solle sich durch Gebrauch seiner Freiheit nicht zu den reinen Intelligenzen erheben wollen, weil er sonst »im Urtheile des Geschmacks« das verlöre, was er vor jenem Richterstuhl der Vernunft gewönne (es gab noch andere Stimmen, die Schiller hießen, diese hier aber gehört demselben, dem es vor der Revolution grauste, weil da »Weiber zu Hyänen« würden), ob Dilthey erklärt, es gebe etwas, das niemals vor besagten Richterstuhl gebracht werden könne, und was er »das Leben« nennt – immer wird sich da anarchistisch gebärdet, auch wenn das Wort »Anarchismus« für die Weigerung, eine debattenentscheidende Vernunftinstanz anzuerkennen, selten (und als epistemologische Kategorie eigentlich nur bei Paul Feyerabend) benutzt wird –, das Richterstuhlbild als Chiffre für die instituierte tyrannische Wahrheit haben sie nur deshalb so gern, weil es die Selbstbeschreibung als Rebellen kitzelt, wie die Glückssucherbegründung für die Meinungsfreiheit der Eitelkeit schmeichelt; eine Theorie hat allerdings aus dieser Auflehnungsgestik kein Schiller und kein Dilthey, sondern erst Michel Foucault gemacht, indem er erklärte, alle gesellschaftlichen Einrichtungsmuster produzierten je und je verschiedene Wahrheiten als Feldeffekte nicht etwa von Erkenntnisarbeit oder Resultate des Stoffwechsels mit der Natur, sondern Emanationen gesellschaftlicher Macht, und das habe sich auch mit modernen Wissenschaften und der Aufklärung keineswegs geändert. Die desillusionierte Widersetzlichkeit unterschlägt indes, daß ihr Sprechakt selbst nur verstanden werden kann, wenn man ihn mit dem normativen Status einer bindenden Tatsachenbehauptung versieht – den Richterstuhl der Vernunft für einen Hochsitz der Macht ausgeben kann nur, wer auf einem ganz ähnlichen Ding sitzt; auch ein Foucault kann nur beobachten, daß Wahrheitsproduktion, Meinungsäußerung und so fort auf diese oder jene Weise vonstatten gehen, wenn er bereit ist, sich damit als eine Instanz zu setzen, der sämtliche Attribute eignen müssen, welche die Aufklärung ihrem Richterstuhl zuerkennen wollte, allerdings gewendet nach Art der negativen Theologie: Die Position, von der aus der Diskursanalytiker die Diskurse analysiert, ist jedenfalls von den spezifischen Irrtümern frei, die jene entstellen, mag sie selbst keine sein, die Wahrheit garantiert – der »Relativismus«, den die letzten hilflos Modernen solchen Positionen manchmal übelnehmen wollen, ist ein viel zu milder Name für eine Weltsicht, in der »die Macht« überall ist und die Wahrheit nirgends; Darwinisten sind die Foucaultianer nur deshalb nicht, weil sie auch Darwin nicht abnehmen, er hätte irgend etwas anderes herausgefunden als ein paar knallige rhetorische Schlachtordnungen für die Selbstrechtfertigung des britischen Empire. Macht und Gegenmacht im außermoralischen Sinne ersetzen ältere Unterscheidungen wie Wahrheit und Irrtum oder Wahrheit und Lüge nur um den Preis der Veränderung des Öffentlichkeitsbegriffs, der sich denn auch vom Modell des Gerichts, vor dem beide Seiten ihre Plädoyers halten und dann vor einer Instanz, die je nach Beschreibungsebene volonté générale oder Vernunft heißen kann, eine Entscheidung erleben, zum Modell der Arena, oder zeitgemäßer: der Talk- bis Castingshow verschiebt, wo die Parteien direkt aufeinandertreffen, ohne richterliche Vermittlung, weshalb seit 1968 die Durchschlagskraft des Auftretens, die Showevidenz in der public sphere obenauf ist. Negativ sanktioniert ist auf solchem Spielfeld bald nur noch die mangelnde Souveränität, das Sich-schlecht-verkaufen-Können. Die situationistische Schimpfe aufs »Spektakel« hat hier ihr Recht, das über die Kulturindustriekritik Horkheimers und Adornos hinausgreift, die den Raum, in welchem immerhin noch debattiert wird, also sowohl die Universität wie etwa die Radiodiskussionen beispielsweise mit Arnold Gehlen, an denen Adorno teilgenommen hat, scharf von den in Hollywood erfundenen circenses hat sondern wollen: Wenn die Voraussetzung dafür, daß Adorno und Gehlen miteinander reden, die ist, daß beide Stars sind und ihre
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