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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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immer das sein mag; die Dame hat kein Gesicht) schlage im Prozeß massenmedialer Verblödung in Mythos um: Es ist die privateigentümlich gesteuerte (oder eben: deregulierte) bürgerliche Öffentlichkeit, die auf vernünftige Weise Unvernünftiges verbreitet, sobald der sie tragenden Gesellschaft die nicht Erpreßten, nicht Erpreßbaren sowohl als Sender wie als Empfänger aus Gründen abhanden kommen, die man ganz anders beschreiben kann als aufklärungskritisch, vernunftskeptisch, geschichtsverzweifelt – ohne daß man deshalb auf Kritik verzichten müßte, die steckt nämlich eher in Detailfragen, in Immanenzen, wie die Philologie schon immer wußte – in Thomas Paines oben zitiertem Definitionsbemühen um (heute wiederherzustellender, damals zu erringender) Verantwortlichkeit etwa, im Kampf des Karl Kraus gegen die Presse, in gar nicht so seltener ambivalenter linker Zensurtheorie (ausgestaltet zum Beispiel von Peter Hacks) – der Markt der Daten, als etwas angebliches naturwüchsig Freies, dem Staat, als einer angeblich ebenso zwingend einschnürenden Einrichtung gegenübergestellt, ist nicht nur eine verflachende Wiedergabe der klassischen Aufklärungsposition (»die Nation« sollte in dieser ja vielmehr ebenso Vollbringerin wie Nutznießerin der Meinungsfreiheit sein, siehe den oben zitierten Passus von Claude Helvétius), sondern vor allem auch deskriptiv großer Nonsens: Kein Markt hat sich je selbst erzeugt oder geschützt; Robert W. McChesney, ein führender Medienökonom der Gegenwart, hat aufgezeigt, daß Kabel, Satelliten und terrestrisches Senden so abhängig sind von Regierungsmonopolen auf zu besetzende Frequenzen, zu bespielende Räume, einzurichtende materielle und immaterielle Dispositive, daß man um Planung nicht herumkommt und man daraus nur eines folgern kann: »The real issue is not regulation versus free markets, but, to the contrary, regulation in the public interest versus regulation to serve purely private interests.« 125
     
    Erinnert sich noch jemand, wer das Internet ursprünglich errichtet und finanziert hat? Wird sich, ergänzend hierzu, demnächst herumsprechen, daß Google, Facebook und YouTube in privaten Händen sind? Hat, was die mündigen Menschen wissen oder wissen sollten, für ihr Verhalten beim Kommunizieren (wenn schon nicht beim sonstigen Handeln) noch irgendwelche faßbaren, beobachtbaren Konsequenzen? Wenn nicht, dann fehlt es wohl an etwas, dessen Abwesenheit beim Lesepublikum der Zeitungen für Karl Kraus gar den ganzen entsetzlichen Ersten Weltkrieg erklärt: Phantasie.

ACHT
CONTES FANTASTIQUES
I.
Schneller (Erweiterungen und Eingrenzungen)
    Man kann die Geschichte (»alle bisherige« jedenfalls, wie Marx und Engels mit weitreichenden Hintergedanken sagen) als ein bißchen zu gerade, ein bißchen zu freie, leider ohne Geschwindigkeitsbegrenzung eingerichtete Autobahn denken und den Implex aller Möglichkeiten, dem Verhängnis, der Naturverfallenheit, der Abhängigkeit und dem Unrecht ungeplanter Prozesse zu entgehen, als eine Serie von Ausfahrten, die zu Orten führen, zu denen man will.
    Mit jeder verpaßten Ausfahrt beschleunigt das Fahrzeug, in dem alle sitzen.
    Ist das Fortschritt?
     
    Vielleicht für Leute, die das Ganze von oben sehen und darüber beruhigt sind, daß es die Ausfahrten, die verpaßt wurden, ja noch gibt – nur fehlt die Gegenfahrbahn, auf die man wechseln müßte. Außerdem meinen wir mit »Implex« nichts, was in einer räumlichen Ordnung etwa eine Untermenge von Tatsachen oder deren Verbindungen bilden würde. Die Menge, welcher der Implex implizit ist, möchten wir vielmehr als etwas Zeitliches denken, etwa so, wie wenn bei einem barocken Musikstück ein Generalbaß mitläuft. Daß der Implex für uns aber überdies reicher (auch, sit venia verbo, umfangreicher) ist als das, worin er eingebettet ist, meint einfach den Umstand, daß sich um so eine Baßlinie sehr viel mehr, auch ganz andere Musik denken und spielen läßt als die, zu der sie etwa jeweils empirisch »gehört«, das heißt: aus der man sie herausgehorcht hat. Man wird das, weil es kontraintuitiv ist, damit beantworten, die entsprechenden Partituren zu verlangen (»wie sieht sie denn dann aus, die Utopie oder Dystopie?«), auch wenn in dem Jahrhundert, aus dem wir stammen, ein beachtlicher Aufwand um das Bemühen getrieben wurde, einmal eine Musik zu spielen, die man nicht mehr aufmalen kann, die wenigstens andere Verräumlichungen als die zur Draufsicht aufs

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