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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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zu beschreiben versucht; uns hat daran vor allem interessiert, daß Barbauld ein feines, nicht einmal bei der ihr in vielem geistig eng verwandten Mary Wollstonecraft so hochentwickeltes Gespür für die in bestimmten Entwürfen der conditio humana , Gesellschaftsverträgen und anderen aufgeklärten Denkbildern impliziten Umbauprogramme besaß und großes Geschick dabei, sie explizit zu machen (wir werden davon im weiteren noch das eine oder andere erwähnen und zitieren). Daß die Aufklärung, Enlightenment, les lumières etwas mit egalitären Bestrebungen über den intellektuellen Bereich hinaus zu tun gehabt hat, darf man in einer Gegend, einem Sprachraum, die diese Umwälzung mit achtbaren, aber in dieser Hinsicht nicht nennenswert hervorgetretenen Gestalten wie Lessing und Kant verbindet, nicht ohne weiteres voraussetzen. In Frankreich und Amerika, wo bürgerliche Revolutionen der Sache einige bleibende institutionelle Denkmäler gesetzt haben, aber auch in den Niederlanden, Italien oder auf den großbritannischen Inseln, wo Atheisten, Spinozisten, Rationalisten, Empiristen die mores sowenig unangetastet lassen konnten wie die Götter, ist es ein Gemeinplatz. Dieser Unterschied betrifft (man darf sagen: naturgemäß) das beliebte Problem des Verhältnisses von Theorie und Praxis, von dem in Dialektik eher unbeschlagene wackere Marxisten gerne meinen, es sei selbst ein ausschließlich praktisches – daß darin auch ein theoretisches wohnt, lehrt schon ein Blick auf die schottische Aufklärung, die neben allerlei verzwickter Erkenntniskritik auch die Geburt der neuzeitlichen Wirtschaftswissenschaften zustande brachte, ohne die nicht nur Das Kapital kaum geschrieben worden wäre.
    Deutschland dagegen ist, man kann es nicht oft genug wiederholen, ein Land, dessen Bourgeoisie seine politische Emanzipation verschlafen und verpatzt hat, und deshalb leidet schon die berühmteste von einem hiesigen Muttersprachler ersonnene Definition dessen, was Aufklärung überhaupt sei, an einem seltsam asozialen, ungeschichtlichen, platt moralisierenden Eigengeruch – »der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«, das sagt nichts anderes, als daß auch die Geschichte der Dummheit, welche die Ungleichheit deckt, von den Leuten (und von denen auch noch im Singular) selbst gemacht wird, und unterschlägt mithin, daß sie das, wie Marx unterstrichen hat, »nicht aus freien Stücken« tun, sondern kooptiert, gebunden, geformt von Prozessen der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion ihres gesamten Lebens, deren Richtung vom Kräftemessen vorhandener Interessen und zuhandener Mittel zu deren Durchsetzung bestimmt wird. Weil die Bürger nicht wie anderswo mit gutem Beispiel vorangegangen sind, hängt sich deshalb in dieser Gegend das politisch-ökonomische Bewußtsein gesellschaftlicher Großgruppen selten an die eigenen Interessen, häufiger dagegen an die der Nächstbessergestellten, denen man sich auf diesem Weg (den die Psychoanalyse »Identifikation mit dem Aggressor« getauft hat) als zuverlässige Gefolgschaft empfehlen will.
    Deutsche Großbürger imitieren, sobald es sie gibt, den übelsten Landadel, deutsche Proletarier legen sich eine Freizeitkultur zu, die sich am Dorfmetzger und anderen Kleinbürgern orientiert, die Angestellten wählen wie ihre Chefs – so viele Selbständige oder gar mittelständische Unternehmer, wie gebraucht würden, die je und je tatsächlich erzielten Wahlergebnisse der Liberalen zu erklären, hat es in diesem Land nie gegeben, schon gar nicht nach 1989, als die Annexion der zerbröselnden DDR den funktionalen und sonstigen Eliten des europäischen Nordwestens einen so gesegneten Appetit schenkte, daß sie sich neben der Entwertung volkseigenen, auf dem Weltmarkt nicht wertschöpfend konkurrenzfähigen Betriebseigentums gleich auch noch an die über allerlei staatliche Weichenstellung erfolgende Liquidation westlichen Kleineigentums machten. Was allein die Entwertung unproduktiv herumliegender Sparguthaben um fast die Hälfte durch den Euro und die Schrödersche sowie post-Schrödersche Sozialgesetzgebung auf dem Weg der Anrechnung noch mickrigsten Besitzes auf Zuwendungschancen etwa abgesunkener Exkleineigentümer (ein Friseur, der Pleite macht, muß achtgeben, daß er keine zu große Wohnung hat, etc.) an Unerpreßbarkeit beim traditionellen Wählerstamm der FDP vernichtet hat, hätte diese Partei eigentlich zwingen müssen, sich nach dem Vorbild des nordirischen

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