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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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hat, das sehen wir dann eben einfach als die »leitenden Strukturen« dieser Kunst an und kümmern uns nicht darum, daß er diesen Strukturen zusätzlich noch das für uns sowieso irrelevante »Kompliment« (Richard Rorty) macht, daß sie stimmen.
    Für praktische Absichten bleibt es sich ja wirklich gleich; es ist wie in der Quantenmechanik: Die Rechnungen mit der Schrödinger-Wellenfunktion führen, ganz wie Bohr und Heisenberg, zwei physikalische Poststrukturalisten ante verbum, richtig festgestellt haben, auch dann zu korrekten Voraussagen, wenn man nicht »dran glaubt«, daß den Wellen irgendwas »Reales« entspricht. So sieht es analytisch aus, im Kontemplativen, Sauberen.
    Sobald man aber, beispielsweise, selber unwirkliche Kunst produziert, sobald das Bild, das wir gezeichnet haben, praktisch wird, kann man diesen Quietismus nicht aufrechterhalten.
    Zu streng verlangt die Wahrheit in Gestalt verbindlicher Formen der deshalb gern sogenannten »Genres« nämlich, daß man sie nicht verletzt bei dem, was man erfindet, daß man sie glaubt oder doch sich so verhält, als täte man’s, was zynisch, rein instrumentell wahrscheinlich nicht durchzuhalten ist (ein Roboterroman von jemandem, der künstliche Intelligenz »heimlich« für Quatsch hält, wäre schon eine ziemliche Leistung, aber nicht unbedingt gut, und als Erzähler müßte der Autor sich jedenfalls dann doch so verhalten, als fände er plausibel, was seine Geschichte voraussetzt).
    »Science-fiction« ist so eine Wahrheit, »Horror« wäre eine andere.
    Wer etwas filmen will, das als »Der Werwolf aus der Nachbarschaft greift an« aufgefaßt werden soll, oder etwas schreiben, das mitteilt: »Die kaputte Zeitmaschine schafft große logische Probleme«, darf nicht einen Schritt vom Weg abkommen, es sei denn so, daß er den Weg damit bestätigt, weil die Übertretung tödlich ist und man das auch sieht: hic sunt leones.
    Die Dinge liegen da wie immer beim Konkreten und Allgemeinen, wie bei der einzelnen Zugreise und dem Fahrplan: Wahr ist ein Ensemble abstrakter Möglichkeitsbedingungen für das Auftreten von variablen Einzelereignissen, die dafür dann statt wahr im Einzelfall immer nur wirklich sein können. Wirklich ist das Werk, wahr seine Idee.
    Wohlgemerkt: Was auftritt, damit das Werk existieren kann, sind Ereignisse, also nicht einfach Sachen, Objekte, Waren, Platten, Bücher, Tapes, DVDs.
    Das Unwirkliche funktioniert wie das Wirkliche, dessen natürlicher Feind es ist, wesentlich dynamisch (auch ein Bildinhalt von Goya ist kein Zustand, sondern ein Ereignis, weil er nur wirkt, wenn man sich die Folgen vorstellt oder die Vorbedingungen – was ist passiert, daß sich uns dieses Bild bietet –, weil also die entscheidende Frage immer eine ist, die man mit einer Erzählung beantworten kann). Eine Ontologie des Erzählens – hier versagen die meisten Narratologien – muß eine Ereignisontologie sein.
VIII.
Adornos verfrühter Abschied
    An einer seltsamen Stelle in Adornos Ästhetischer Theorie kommt er aufs Phantastische explizit zu sprechen. Da behauptet er, es habe in der Moderne aufgehört zu existieren, weil durch die Ablösungvon der Mimesis der empirischen Welt die neue Kunst aufgehört habe, realistisch und dialektischerweise deshalb also auch: phantastisch zu sein. 137
    Aber auch die vormoderne Kunst hat jene »empirische Welt« ja nie besessen, nicht nur weil, wie die Poststrukturalisten lehren, Mimesis immer auch Verschiebung und Verweis und Trennung ist, sondern weil die Domäne der Kunst noch nie die Welt, sondern immer schon die Wahrheit war und es davon zwei gibt: die Wahrheit dessen, wie die Dinge sind einerseits und die Wahrheit aller möglichen Beschäftigungen damit andererseits.
    Die erstere ist die der unwirklichen, die zweite die der wirklichen, von Adorno bevorzugten Kunst, vom Naturalismus bis Beckett. Adorno überschätzt den Bruch zwischen den beiden Sorten von Künsten, wenn er ihn zu einem Epochenbruch macht – nur weil er, in Wien, bei Schönberg und Berg dabei war, als wieder mal eine ganz bestimmte Wahrheit der möglichen Beschäftigung mit der Welt sichtbar wurde, nämlich die, daß man sich auch mit den Darstellungsmitteln selber als Material begnügen kann, wenn man sich fürs Darstellen interessiert, und auf Abbildung wie Ausdruck verzichten darf.
    Gegenstand der Wahrheit dessen, was Adorno für Moderne schlechthin hielt, waren also die Wörter (siehe das Mallarmé-Zitat oben), Noten (später: Klänge), Farben,

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