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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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vorkommen kann. Die mythischen Bilder stehen in einer Welt nach dem Mythos, der Kontrast macht ihre Kraft.
     
    Das Verhältnis der unwirklichen Kunst zum sozial Wirklichen ist keines der Ersetzung, Abbildung oder Repräsentation, sondern eines der Gegenüberstellung von realistisch behandelter und metaphorisch selbstentfremdeter Welt in ein und demselben Kunstwerk .
    Dies erfunden zu haben, war eine (nicht die einzige, vielleicht aber die wichtigste) Leistung der bürgerlichen Ästhetik; man kann sagen: eine Revolution.
    Sagt man dies, so benutzt man ein Wort als Metapher für Ästhetisches, das man als Metapher für Politisches nicht geringschätzen sollte und dem (sowie dem damit Gemeinten) wir uns, in diesem anderen Sinn, daher jetzt zuwenden wollen.

NEUN
VOM UMSTÜRZEN UND VOM UMFALLEN
I.
Aufstandsnominalismus
    So gut wie alle, die dieses Buch lesen, werden wissen, was eine Revolution ist.
    Vielleicht wissen sie sogar zuviel: Was sie dafür halten, ist im ungünstigsten Fall eine recht disparate Menge von Ereignissen, die nicht alle von einem verantwortungsbewußten Gebrauch des Begriffs gedeckt sind (immerhin wird dann wohl nichts weggelassen, das wirklich darunter fällt).
    Man hat das Wort, bevor es politisch aufgeladen wurde, für das gebraucht, was gewisse Himmelskörper mit anderen tun: Sie umkreisen nämlich. Hannah Arendt verdeutlicht in ihrer weit ausgreifenden Studie On Revolution , sicher der souveränsten nichtmarxistischen Abhandlung über das Thema im zwanzigsten Jahrhundert, daß der Begriff als politischer ursprünglich nicht die Errichtung eines Novum s, sondern die Wiederkehr von etwas Altem, durch Niedergangserscheinungen außer Kraft gesetzten Rechtmäßigem bezeichnete. Es ist dies eine deutliche Entsprechung zum Schicksal der Naturrechtslehre, die ja ebenfalls etwas erst Herzustellendes als verlorengegangenen Urzustand malt. Das Weltbild, in dem die Revolution für die restitutio in integrum des Richtigen sorgen kann, sah die politische Sphäre damit als ebendie Sorte »beharrliches und zyklisches System«, in dem der Implex, wie wir im letzten Kapitel zitiert haben, für Valéry zu sich kommen konnte.
     
    Zu der Zeit, in der Arendt den Ursprung des Revolutionsbegriffs in seiner heutigen Bedeutung lokalisiert, kam das englische Königtum in Bedrängnis, das französische auf den Müll, und schließlich dachten zwei Deutsche darüber nach, was man mit Gesellschaftsordnungen anstellen kann. Am vorläufigen Ende der langen Entwicklung steht erstens ein Autokrat wie Vladimir Putin, der in Interviews und Reden erzählt, er als Russe könne nur hoffen, daß das einundzwanzigste Jahrhundert keine Revolutionen mehr erleben werde, zweitens eine kapitalistische Produktwerbung, die jedes neue Gadget als anthropologische Erschütterung ausschreit, und drittens noch nicht ganz verblaßte Schriftsteller wie Peter Hacks, der einem Veränderungsenthusiasten wie Hans Magnus Enzensberger in den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern des jüngstvergangenen Jahrhunderts vergeblich zu erklären suchte, was man unter einer Revolution versteht, wenn man die Klassiker gelesen hat: Keine Aufstände Unzufriedener, keine Ereignisse wie den berühmten 17. Juni, sondern Akte der Veränderung der Eigentumsverhältnisse, »das weiß«, scherzt Hacks grimmig, »glaube ich, selbst Sombart« 143 , also mindestens Bodenreform, Kollektivierung der Landwirtschaft, Vergesellschaftung der Industrie.
     
    Die marxistische Linke ist an der Verwirrung, die mittlerweile um das Wort herrscht, und bei der vielfach hinter den Nominalismus auf einen mit viel Emphase und Dringlichkeit vorgetragenen Begriffsrealismus zurückgepurzelt wird, nicht unschuldig: Daß einem für die erste Groborientierung allemal hinreichenden Holzschnittschema zufolge Revolutionen nur da vorliegen, wo eine Klasse einer anderen die Macht entreißt, reicht als Sachbestimmung auch nicht mehr aus, seit mit dem Klassenbegriff Alfanzereien getrieben werden wie die einiger Trotzkianhänger, als ihr Idol beschloß, diejenigen Teile der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion, die statt ihm und der linken Opposition lieber Stalin folgen wollten, »Bürokratie« zu nennen – sie erklärten die dann einfach zu einer neuen herrschenden Klasse, was nun allerdings Trotzki gar nicht gefiel, denn der war marxistisch gebildet (bei allem polemischen Furor entgleist sein Buch »Verratene Revolution« in dieser terminologischen Frage höchstens in Zwischentönen. Im

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