Der Implex
Maßverhältnisse zwischen Mensch und der Natur, die er verlassen hat: Maßverhältnisse, welche auszumessen die Technik und die Wissenschaften ihr erlauben. Wo die Fantasy ihre Themen illustriert, oft wörtlich bebildert (etwa mit Karten), will die Science-fiction die ihren daher, methodentreu wie nur je ein Cartesianer, lieber belegen und beweisen . Der technische Beweisweg dahin ist zumeist einer, den auch die fortschrittliche bürgerliche Philosophie zu ihrer besten Zeit im philosophischsten aller unglücklichen Länder, in Deutschland, mit nachtwandlerischer Sicherheit eingeschlagen hat: die Spekulation.
Das Numinose, dem das Staunen in vorbürgerlichen Zeiten exklusiv gegolten hat, soll dabei systematisch säkularisiert werden, verbürgerlicht und verwissenschaftlicht, hegelianisiert – deshalb sprechen angloamerikanische Science-fiction-Studies auch nicht von einem religiösen »Sense of Awe«, wenn sie das besagte Staunen thematisieren wollen, sondern von einem »Sense of Wonder«. Das Standardwerk zum Genre von John Clute und Peter Nicholls, die über 1000-seitige Encyclopedia of Science Fiction (mehrere Auflagen seit 1992), wundert sich über diesen Begriff, an dessen Export aus der Fanliteratur in akademische Texte der letzten zehn Jahre es andererseits selbst einen wesentlichen Anteil hatte: »› Sense of wonder‹ is an interesting critical phrase, for it defines SF not by its content but by its effect – the term ›Horror‹ is another such.« 141
Dieses Staunen ist nicht unbedingt die helle Freude: Es kann auch in Entsetzen umschlagen, wenn die Künstler negative Utopien schreiben, filmen, zeichnen, malen oder (als Technomusik zum Beispiel) sonstwie aufführen.
Durch die verschiedenen Temperaturen von angenehm bis greulich hindurch aber bleibt SF immer – im Gegensatz zu Fantasy, die eine numinose Unwirklichkeit herstellt, und Horror, der viszerale Unwirklichkeit heißen könnte – die »spekulative Unwirklichkeit«, als die Harlan Ellison sie Ende der Sechziger auch marktoffiziell etablieren wollte. Auf von ihm als Herausgeber verantworteten, Epoche machenden Anthologien ließ er das Kürzel »SF« damals neu ausschreiben: »Speculative Fiction«.
3. Wenn wir »Horror« sagen, meinen wir den supernatural horror, von dem Lovecraft in seinem großen Essay spricht, Thriller interessieren uns nicht. Der Schlüsselbegriff für den Horror, von dem wir reden, ist – analog dem Staunen der SF und der Läuterung der Fantasy – der Begriff frisson , er bezeichnet das (nicht nur freudianische) Unheimliche.
Im Gegensatz zur Seele der Fantasy und dem Geist der SF, den thomistischen und cartesischen Landschaften also, geht es hier aber um etwas sehr viel weniger leicht ins Idealisch-Mentale Wegdiskutierbares – es geht dem Körper an den Kragen.
Die englische Doppelbedeutung von »Body« ist ein Glücksfall für Autoren wie King und Barker: lebendiger Körper und Leiche ( The Body heißt auch die Buffy -Folge, in der Buffy und die Scoobies mit dem Tod von Buffys Mutter Joyce fertigwerden müssen – eine der besten überhaupt). Alles, was Horror will, geht den Leib an, selbst wenn es sich um den ektoplasmatischen Leib eines Gespensts handelt.
Denn Gespenster sind nichts als die entschlossene Verneinung lebender Körper aus Fleisch und Blut, und »die Umkehrung eines metaphysischen Satzes bleibt ein metaphysischer Satz« (Heidegger). Die Bedrohten der Horrorkunst zeigen daher auch in ihr alle Nase lang körperliche Reaktionen, vom Schweißausbruch bis zum Herzstillstand, und ihre Monster stinken, schreien, beißen.
Entgegen einer weitverbreiteten, vulgärpsychoanalytischen Bequemlichkeitsfloskel heißt »Körper« allerdings nicht, daß man alles, was das Publikum am Horror angeht – Gänsehaut, übler Geruch, Erbrechen oder Schlaflosigkeit –, zwischen die angeblich allein entscheidenden Pole »Sex und Tod« spannen, also nur als stufenlos verstellbare Zwischenschritte zwischen Orgasmus und peinvollem Abkratzen lesen darf.
Gerade daß Horror alle nur irgendwie greifbaren Körperregister ziehen darf, die obertonreichsten wie die reinsten, macht seinen Reichtum aus und erlaubt es beispielsweise, ihn als Klammer um verschiedene Gebrauchsweisen anderer diegetischer Wahrheiten – der von Fantasy und SF zum Beispiel – zu nutzen. Orgasmus und Tod sind nicht die manichäischen Doppelschlüssel zur Schreckenskammer – schon die Haut weiß mehr.
Worum es beim Horror ebenfalls nicht
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