Der Implex
nur als historisch informierten Revolutionstheoretiker sieht, schlägt immer mindestens ein Bein, eher zwei Beine eines Dreifußes weg, der dann umfällt. Marx ist eben Revolutionstheoretiker nur, insoweit er Staatstheoretiker, und Staatstheoretiker wieder nur, insoweit er Gesellschaftstheoretiker ist.
V.
Herr Poulantzas und die Ideale
Marxistisch inspirierte Strukturalisten und linke Strukturfunktionalisten (»Regulationstheoretiker«) klammern meist die Revolutionstheorie aus, motiviert nicht zuletzt vom Peinlichkeitsempfinden, das sie ergreifen muß, wenn sie sich die Gesellschaften, in denen sie ihre Theorien notgedrungen haben bauen müssen, unter dem Aspekt denkbarer Anzeichen für irgend etwas Revolutionäres anschauen. So versuchen sie, etwas wie eine reine marxianische Gesellschaftslehre zu konstruieren und eine Staatstheorie als deren Derivat auszuarbeiten. Sobald sie mit ihren Analysen fertig sind, setzen sie dem Ganzen dann wieder eine seltsam fahl moralisierende Kritik am Bestehenden auf, die von reiner Ethik fast nicht zu unterscheiden ist, nach dem Motto »Jetzt haben wir verstanden, wie es aussieht, aber es soll natürlich alles weg«. Fehlleistungen häufen sich an dieser Stelle, und worauf sich die Kritik überhaupt bezieht, ist wie bei allgemeinen Moralappellen stets fast schon egal; den »realexistierenden Sozialismus« kann man dann in einem Aufwasch mit dem »freien Westen« abwatschen (weil ersterer hochgesteckten ethischen Ansprüchen natürlich nicht genügt, er ist ja nicht ethisch, sondern historisch), und im allerkonfusesten Fall passieren dann beim Übersetzen schon im Original eher empörter als durchdachter Formulierungen noch zusätzliche Unfälle, wie an dieser wunderschönen Stelle, übertragen in die Sprache, die Marx und Engels geschrieben haben, von Nicos Poulantzas: »Die totalitären Regime haben sich gerade auf jene Denker berufen, die unter den Bedingungen ihrer Epoche ohne Zweifel weniger etatistisch waren als andere, auf Jesus, Rousseau, Nietzsche, Sorel, und schließlich auf Marx, dessen beständiger und hauptsächlicher Kampf dem Absterben des Staates galt.« 164
»Now this is wrong in so many ways« (Harlan Ellison), daß man gar nicht weiß, wo man anfangen soll:
Daß, erstens, die Faschisten sich auf anti-etatistisches Denken berufen haben, darf man, da sie den Staat ja blutigst (ge-)brauchten, um alle positiven Errungenschaften der bürgerlichen Staatlichkeit zu schleifen, doch als Theoretiker von einiger Selbstachtung nicht ernster nehmen, als daß Goebbels dem »linken Flügel« der NSDAP angehörte und diese sich überhaupt »sozialistisch« nannte, daß der Staat von ihnen, als sie ihn denn erobert hatten, genausooft angehimmelt wie als blutleere Abstraktion der bevorzugten Volksgemeinschaft gegenübergestellt wurde, gehört eben zur Nazigewohnheit, auf die Logik zu scheißen, wo immer es geht, und damit zu demonstrieren, daß man die Stiefel an und die Peitsche in der Hand hat; insbesondere den deutschen Faschismus (der italienische war ein bißchen durchdachter) überhaupt an irgendwelchen intellektuellen Quellen messen zu wollen, also eine politische Erscheinung, in der keine zwei kanonischen programmatischen Texte (sagen wir, aus der Kampfzeit: Goebbels-Aufsätze über den Zukunftsbund mit Rußland und zeitgleiche Aufforderungen Hitlers, im Osten mit Feuer und Schwert Lebensraum zu erobern) zusammenpassen und doch alles sich dem Gesamtbemühen fügt, die vernünftigen, gerechten, fortschrittlichen Folgen der französischen Revolution mit Stumpf und Stiel auszurotten, zeugt von einem Text- und Ideenglauben, kurz, einem Idealismus, den man schon wieder lieben muß, so harmlos ist er.
Daß Poulantzas, zweitens, die Totalitarismustheorie von einer mindestens paramarxistischen Position aus übernehmen möchte, am besten stillschweigend, obwohl die nun wirklich nur von einem allerernsthaftesten Liberalismus aus auch nur den geringsten Sinn hat, ist mindestens unvorsichtig, schlimmstenfalls unaufrichtig.
Drittens aber und schönstens setzt die deutsche Fassung auf den genannten zweifachen Quatsch an der für die vornehme theoretische Abgrenzung gegenüber stalinophilen Altkommunisten, die mit dem ganzen Passus ja eigentlich bezweckt sind, entscheidenden Stelle einen riesigen dritten: »Der Kampf von X gilt Y« heißt auf deutsch ja immer noch, daß X gegen Y kämpft, die Formel vom »Absterben des Staates« aber bezeichnet etwas, das Marx für den Fall des
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