Der Implex
welchem Verhältnis stehen diese zueinander?), deshalb die Parteiendiskussion (als Diskussion der Parteien untereinander, Diskussion in Parteien und Diskussion über Parteien), deshalb endlich die Unterscheidung zwischen Regierung und Staat.
Die aber brach immer wieder zusammen unter dem Widerspruch, daß man einerseits Gewaltenteilung wollte, andererseits die Einführung einer völlig neuen Art Staat, des aufgeklärten Vernunftstaats nämlich, und von der Regierung fordert, daß sie genügend Macht an sich bindet, damit das ganze Gemeinwesen zu revolutionieren – so kollabierte denn der Staat an den Wendepunkten der von der Aufklärung vorbereiteten und begleiteten gesellschaftlichen Entwicklung immer wieder direkt in den Staat, und begrifflich entstanden daraus mal unaufrichtige, mal ganz ehrlich geglaubte Konfusionen, die sich bis ins illegitime radikale Kind des Liberalismus, die marxistische und lassalleanische Arbeiterbewegung fortzeugten – und über diese hinaus, aus dieser stammend, allerlei hochgescheite Theorien der Gegenwart, die auf immer neue Weise Worte wie Befehl und Gehorsam, Besitz und Abhängigkeit, Gefolgschaft, Produktion und Verteilung, Verwaltung und Bewaffnete durch abstraktere wie Macht, Gegenmacht, Gouvernance, Gouvernementalität, Regulation aufsaugen und veredeln wollen und sollen, was aber, als auf dem Kopf stehende Spiegelung der Versuchung für jede emanzipatorische Bewegung, den Staat in der Regierung verschwinden zu lassen, nur immer ökonomische und politische Objekte umgekehrt in semiotischen und philosophischen absorbieren will – dem Operativismus der ewigen Jakobiner entspricht dann der Quietismus des ewigen Tiefsinns, und beide werden damit Opfer der Arbeitsteilung zwischen Theorie und Praxis, deren Hierarchisierung dann so aussieht, daß die Theoretikerinnen über die Praktikerinnen besser Bescheid wissen als diese über sich selbst, andererseits aber die Praktikerinnen die Theoretikerinnen, wenn letztere stören, einsperren und liquidieren lassen können, was alles einfach nicht schön ist und nicht hilfreich.
Solange Theorie die Widersprüche der beschreib- und erklärbaren Realverhältnisse in immer apartere Paradoxa entfaltet und sich dabei vom Anspruch, Fakten setzendes Handeln anleiten zu wollen, allmählich entfernt, passieren ständig Selbstmißverständnisse der Theorie, oft auf hohem Niveau, mit den sinnreichsten Nebenergebnissen – im Marxismus zum Beispiel die von Luxemburg bis Althusser, Robert Kurz und Roswitha Scholz reichende Linie der Auseinandersetzung mit dem faszinierenden Umstand, daß der Kapitalismus offenbar immer auf Außerkapitalistisches angewiesen ist, um sich erweitert reproduzieren zu können, »dritte Personen« (Luxemburg), Hauswirtschaft, »Wertabspaltung« (Kurz/Scholz), bei deren findiger und manch unersetzliche Beobachtung abwerfender Forschungsarbeit allerdings verlorengeht, daß Marx gar nicht wirklich gezeigt hat (und wohl auch, tongue-in-cheek- Behauptungen anderer Farbe zum Trotz, nie unvermischt mit anderem, Programmatischem und Normativem, zeigen wollte), wie dieser Kapitalismus funktioniert, sondern, daß er es eben nicht tut; weniger ironisch: daß der tatsächliche Kapitalismus nicht halb so stimmig und triftig ist wie das Begriffsnetz des klassischen Liberalismus. Die Nichtstimmigkeit eines begrifflichen Systems zeigt man bekanntlich auf zwei Arten: Man weist nach, daß darin etwas fehlt, das man im Gegenstandsbereich, von dem es handelt, aber findet (die Merkurbahn ärgert die Newtongläubigen), oder indem sich etwas widerspricht (von Aristoteles über die Scholastik bis Gödel ist da die sogenannte Logik gefordert). Marx macht es so: Die Verträge, die der liberale Staat begleitet und schützt, sind faul (dazu Klassenanalyse und Werttheorie), und, das ist das, was fehlt, der Widerspruch ist: Zwang wird im Laissez-faire- System politisch verneint, damit aber ökonomisch legitimiert. Der Marxismus will das Verkehrte von beiden Seiten in die Zange nehmen, die zukneift, wenn das Fazit ausgesprochen wird: Man kann von einer naturwüchsigen, ungeplanten und unvernünftigen Gesellschaftsordnung keine vernünftige Staatsverfassung ableiten, und damit die Zange nicht abrutscht, wird das Objekt, das sie greifen soll, zusätzlich von einer dritten Seite fixiert, der historistischen seiner geschichtlichen Veränderlichkeit. Wer den Kapitalismuskritiker Marx nur als Gesellschaftstheoretiker oder nur als Staatstheoretiker oder
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