Der Implex
»wehrhaften Demokratie« oder den unamerican activities aber werfen für die Krisendenker unerwartet deutliche Schlaglichter darauf, wie es mit den destabilisierenden Ansichten noch im freizügigsten System steht. Ein Schmitt muß sich die Skrupel von Rawls nicht machen, sich dafür zu entschuldigen, daß er konstruieren muß, wo er nicht beobachten kann (und nicht beobachten soll …); Schmitt kann einfach dekretieren, daß jede beobachtende, induktive, empirische Auseinandersetzung mit Staatsrecht und Rechtsstaat aufgrund der normativen Beschaffenheit der Kategorien jeden Rechtes grundsätzlich die verkehrte wäre: Man soll gar nicht erst die existierenden oder früher vorgekommenen Staatengebilde untersuchen, um verstehen zu lernen, was es damit auf sich hat, Recht und Staat, lehrt Schmitt, dürften eben »nicht wie zwei reale Tatsachen in eine kausale Beziehung zueinander gebracht werden und eine Nebeneinanderstellung«, »da aber das Recht seinem Wesen nach Norm ist, nach deren Richtigkeit unabhängig von ihrer Tatsächlichkeit gefragt werden kann«, sind die Sozialwissenschaften, ja alle Wissenschaften und sonstigen von Bacon angeleiteten Untersuchungsmethoden hier grundsätzlich überfragt 160 , was in der Tat, ganz wie bei Schmitt vorgemacht, nur darauf hinauslaufen kann, Theologie zu treiben, denn eine andere Rechtsquelle kann es, wenn die empirischen Interessen der wirklichen Menschen und Klassen erst einmal eskamotiert sind, bei Gott nicht geben als eben Gott. So geht die rechte Aufhebung der Arbeitsteilung; alles fließt zusammen im Magen einer nicht mehr auf ihre Entstehung zu befragenden, sondern widerspruchslos hinzunehmenden Ontik. Die rechte Aufhebung der Arbeitsteilung aber spiegelt eine denkbare linke, in der das Normative ebenfalls übers Induktive gesetzt wird, aber als dessen Befragungsmodus, nicht als Versperrung der Frage (dem Rechten sagt die Norm, von der er nicht weiß, wo er sie herhat, daß er das auch nicht wissen wollen darf, der Linken sagt sie, wo die Freiheitsgrade im Gegebenen sind und daß man das auch wissen wollen soll). Beiden Nichtinduktiven wird die Induktion dadurch unterschiedlich wichtig, einmal geht von ihr eine Abstoßung, das andere Mal eine Anziehung aus. Das bedingt auch eine merkwürdige, sehr interessante Blindheit der rechten für die linke Perspektive – Schmitt und Schmittianer können nicht verstehen, was Marx überhaupt tut, weil sie nicht verstehen wollen, was er will; wer das Bestehende nicht abzuschaffen und durch ein bewußt gesetztes Besseres ersetzen möchte, hat keinen Zugang zu dem Modus, unter dem Marx es untersucht – ja, was ist denn das für einer, ein Logiker, ein Wissenschaftler, ein Kritiker, ein Prophet oder Historiker, schließt sich das nicht alles wechselseitig aus? Weil er sagt, das Proletariat soll die Staatsmacht übernehmen, sofern es das kann, kommt es der Rechten so vor, als verheddere sich hier ein Prophet, der im Wachtraum gesehen hat, das Proletariat werde dies tun, in Zeitformen und Modallogiken – ein Beispiel von vielen dafür, wie der Versuch, von einer Warte aus, die rechts von Marx steht, dessen Arbeit auch nur zu rekonstruieren, mißlingt, bietet Ernst Troeltsch in seiner Untersuchung zum Historismus und seinen Problemen:
»Die einen sehen darin (in der Diktatur des Proletariats, K/D) nur die äußere Sichtbarmachung und endgültige Durchsetzung eines unter der Decke der bisherigen Verhältnisse schon vollendeten Prozesses, die Überführung der von innen heraus zur Sozialisierung reif gewordenen Wirtschaft und des zur demokratischen Mehrheit gewordenen Proletariats in die auch äußere Erscheinung und Herrschaft, die Herausbildung der wahren Mehrheit und der wahren Entwicklungstendenz. Die anderen sehen darin die in einem allgemeinen revolutionären Zusammenbruch der Kulturwelt ermöglichte Herrschaft klassenbewußter Minoritäten, die durch Terrorismus und Zwang hindurch in einer lang dauernden Weltkrisis die stets widerstrebenden und verworrenen Massen schließlich zum klassenlosen Zustande der Gemeinwirtschaft bringen und vor allem erziehen« 161 – nun: weder noch, beziehungsweise sowohl als auch: Die Alternative, die Troeltsch aufmacht und auf verschiedene von ihm vermutete marxistische Lager verteilt, fiel zwar historisch tatsächlich oft bei Spaltungen der marxistischen Bewegung vor (hier Stalin, dort Pannekoek), ist aber ein Marxens Absichten und Argumentationslinien unangemessener Dualismus, der von der
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