Der Implex
Nationalstaaten auch noch zu geben. Tendenztotalisierende Theorien haben natürlich eine gewisse Anziehungskraft, der spekulative Zug des durchs Bürgertum erschlossenen neuzeitlichen Denkens ist auch uns nicht der unsympathischste, aber wenn zwei Köpfe sagen, wie die sich aus dem gegenwärtigen kapitalistischen Selbstüberwindungsprozeß ergebende Weltgesellschaft wäre, wenn sie funktionieren könnte, brechen sie jeder Kritik die Spitze ab, die (selbst bei Poulantzas und denen, die ihm folgen, ist das noch der Fall) sagt, daß unter kapitalistischen Auspizien eine Weltgesellschaft, die den Namen wert wäre, eben nicht zu machen ist, auch nicht vom neuen revolutionären Subjekt, der Multitude, auf den Spielfeldern von deren neuen digitalen und modularen commons – daß im Zusammenhang mit verschiedenen, inzwischen selbst von der nobelpreiswürdigen Wirtschaftswissenschaft ernst genommenen Formen des Gemeineigentums bzw. der eigentumslosen Produktion, und zwar nicht nur den historischen, schon vor und bei Marx untersuchten, nicht nur den vom Kapitalismus im Sinne der »Dritte Personen«-Theorie Luxemburgs (weder Ausbeuter noch Ausgebeutete) stehengelassenen Reste von Allmende, comunis und dergleichen, sondern vor allem und wesentlich interessanter denjenigen Gemeineigentumsproduktionsweisen, die der Gegenwartskapitalismus überhaupt erst erzeugt und an denen auch die schlaueren Protagonistinnen und Protagonisten der »A2K« (access to knowledge)- Bewegung ansetzen, bei Negri und Hardt gleich wieder von »new ethics for living in our common world« die Rede ist statt von irgend etwas Produktivem wie wenigstens Genossenschaften, neuen Arten der Versicherungssolidarität, Besetzungsstrategien oder wenigstens Geld, ist allerdings nur für Leute enttäuschend, die sich von Commonwealth , dem dritten Band nach Empire und Multitude , etwas anderes versprochen haben als abermals Visionen, nämlich zum Beispiel mal ein bißchen Geschichte, und wäre es auch nur Begriffsgeschichte (die frühere Auseinandersetzungen mit den commons weit bereitwilliger geliefert haben, zum Beispiel Ivan Illichs nach wie vor ergiebige Monographie Vom Recht auf Gemeinheit aus dem Jahr 1982, die der Autor ganz sinnig in den Werkkontext einer Kritik an der Ideologie der »Energiekrise« und einer Analyse der sozialen Maßgaben der Technik stellte).
Das Unerfreulichste an all diesen Selbstentäußerungen einer fundamentalen Unlust zum Unterscheiden ist, daß man sich damit der Chance begibt, den tatsächlichen Kollaps der verschiedenen Systemebenen in eine oder mehrere andere, der als Option des Ausnahmezustands von jeder ungerechten Herrschaft stets offengehalten wird, als Extrempunkt zu begreifen, von dem aus manche im System selbst artikulierte Unterscheidung (etwa die vielgerühmte Gewaltenteilung) sich als scheinhaft erweisen läßt. Theorien, die das Zusammenbrechen des Staates in den Senken der Gesellschaft oder die gewalttätige Begradigung gesellschaftlicher Flußverläufe von Staats wegen als bereits geschehen malen, haben ihre Plausibilität aus derselben Quelle, die den Bürger im Wonnegraus apokalyptische Zustände als expressionistisches Gedicht oder Hollywood-Katastrophenfetzen genießen heißen: der Stellungskrieg, als der die Klassenantagonismen, dumpfe Angst vor Gemeinschaftsverlust auslösend, meist erlebt werden, bricht endlich einmal in ein Gefecht aus, der Schleier zerreißt, das Unerträgliche hinter der Tür wird wenigstens sichtbar, und man überlebt die Konfrontation damit sogar (weil’s ja nur eine Theorie, ein Gedicht, ein Film ist), oder wie Stephen King einmal verriet: Es ist ein Fehler im Sinne des zu erzeugenden Schreckens, wenn der Horrorkünstler sagt, hinter der Tür steht eine drei Meter große Spinne, denn das löst nicht Entsetzen, sondern Erleichterung aus (sie hätte ja auch sechs Meter groß sein können). Als Propositionengeflecht über die Welt ist uns derlei darum mißliebig, weil ästhetisch umso wirksamer, je weniger Aufklärung noch drinsteckt; als Kunst aber hat es, wenn es gut gemacht ist, Charme – wie zum Beispiel bei Greg Egan, der das Ineinanderkollabieren von gesellschaftlicher Verblödung und staatlich-geheimdienstlicher counterinsurgency im Roman Teranesia als Metaphernprojektion zur Illustration des Verfalls der Neuen Linken nutzt, vorgetragen als irritierend einleuchtende Verschwörungstheorie von einem jungen Mädchen, in hintergründigster Unschuld:
»In den
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