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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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außersubjektive (das Wort »objektiv« gehört, seit die Selbsterfahrung und die Selbstverwirklichung Beichtstuhl und Bibelstudium ersetzten, zu den verbotensten) Gegebenheiten in den Blick zu fassen und auf den Begriff zu bringen.
     
    Daß ich irgendwann irgendwo irgendwie Pech gehabt habe, kann nicht Gegenstand politischer Arbeit sein, wohl aber, daß es quer durch die sozialen Funktionssysteme hindurch entgegen der hartnäckig verfochtenen Behauptung von seinem Verschwinden etwas gibt, das man als Klassengegensatz erkennen könnte und das eine ganze Menge mit spezifischen Formen des Pechhabens zu tun hat.
    Die seit spätestens zwei Generationen mit demselben unverwüstlichen Gestus schnittigster Aktualität auftretende Gewißheit, es gäbe so etwas eben nicht, läßt, wo sie sich erklärt, ganz gerne Zweifel darüber, ob sie eher bedeuten will, daß man die Leute überhaupt Klassen zuordnen könne, oder nur bestreiten soll, daß zwischen diesen Macht-, Ausbeutungs- und andere unfeine Beziehungen bestehen. Besitzlose sollen Ausnahmefälle sein, arme Obdachlose, deren Vorhandensein im Großstadtstraßenbild mit der exotischen volkswirtschaftlichen Kategorie »Schicksalsschlag« erklärt erscheint; Besitzende wiederum hält man zwar für Glückspilze, aber nicht für herrschende. Am liebsten unterschieben Gelehrte und Laien, die dieser Auffassung gehorchen, allen, die da widersprechen, Gelüste nach sogenannter »Umverteilung« und gehen davon aus, wer das Wort »Klasse« gebrauche, hinge einer reichlich unterkomplexen Idee davon an, daß, wie und weshalb der Reichtum der einen automatisch die Armut der anderen sei. Diesen spottmarxistischen Pappkameraden umzustürzen, ist nach dem Willen der Klassentheorieabschaffer lächerlich einfach. Der Beweisgang dazu stützt sich auf zwei Hauptargumente, die vom Gemeinschaftskundeunterricht bis zum Leitartikel den festen Kernbestand eines argumentativ seit der schottischen Aufklärung arg heruntergekommenen Liberalismus und seiner zahllosen Stiefkinder bilden: 1. Die Besitzlosen können doch gar keine Ausgebeuteten sein, denn wer nichts hat – und »besitzlos« bedeutet nun mal, bitte sehr, daß jemand nichts hat –, dem könne man auch nichts mehr wegnehmen. 2. Anders als der Feudalismus, das Clan- oder dynastische Sklavenhalterwesen bringt der Kapitalismus eben keine fest installierte Herrschergruppen mehr hervor, sonst stünden ja heute dieselben Namen – sagen wir: Morgan oder Carnegie – auf den Listen der Allerreichsten wie vor hundert Jahren.
     
    Das zweite Argument ist das schwächere – es tritt auf wie ein Verteidiger der Regentschaft irgendeiner Königin, die von gleichheitstheoriebeschlagenen Antiroyalisten bedrängt wird, wenn der behauptete, die betreffende Staatsform sei doch gar nicht monarchistisch, schließlich habe man ja keinen König. Der Begriff der Monarchie aber soll ja gerade das leisten, Leute auf dem Thron unabhängig von Geschlecht oder auch Rasse und was einem sonst noch für Unterscheidungen einfallen mögen zu beschreiben, was es mit der Krone auf sich hat. Genauso ist der Klassenbegriff zu nichts anderem da als dazu, die Loslösung der sozialen Machtanalyse von der Fixierung auf irgendwelche guten, bösen oder indifferenten Machtträger zu ermöglichen: Daß die Verfügung über Land, Maschinen, Aktienkapital politische Macht bedeutet, ist das Entscheidende, nicht, in welchem Grad diese Macht dann auch noch erblich ist (sie ist es zwar verblüffend oft dann doch, eben weil auch der Besitz erblich ist, aber die Analyse selbst denkt nicht in Blutsbanden, sondern in Funktionen). Wer das ganz einfach selbstverständlich findet – wie sollte es denn anders sein, es war doch schon immer so –, beweist einfach einen Mangel an Vorstellungsvermögen (was, wenn es einmal nicht so wäre?), der, welchen Vorteil er auch für den individuellen Seelenfrieden mit sich bringen mag, jedenfalls nicht zu tiefen Einsichten übers Gesellschaftliche und seine Geschichte befähigt.
    Das erste der beiden Klassenleugnungsargumente sieht auf den ersten Blick stärker aus: Wie können Besitzlose ausgebeutet sein, sie haben doch nichts? Es lebt aus zwei Quellen, erstens dem Augenschein, wonach tatsächlich die Allerelendesten sowohl in den allerreichsten Gesellschaften samt deren Rändern wie in den insgesamt ärmeren nicht einmal (mehr) ausgebeutet werden, zweitens einer fundamentalen Unklarheit darüber, was Leute, die von Klassen reden, eigentlich mit

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