Der Implex
beigebracht hat. Die Lumpenliberalen scheinen, auch wenn es gar nicht so viele sind, längst überall zu sein. Muffig und reif für den Schutthaufen der Sozialgeschichte soll im wiederauferstandenen Deutschland nach dem Willen dieser fünften Kolonne der Freidemokraten unter den Anarchisten alles sein, was an jene Bewegung und ihre Errungenschaften erinnert, und obwohl es Tagelöhner, die sich für Selbständige halten, auch anderswo gibt, fällt doch auf, daß für Leute, die Englisch können, John Lennon vom Working Class Hero gesungen hat, während selbst ein so renitenter Kopf wie Rio Reiser auf dem Weg zum bescheidenen Erfolg im Radio das Arbeitereinheitsfrontlied gegen die infantile Wunscherfüllungsphantasie eingetauscht hat, König von Deutschland werden zu wollen, um die Sorte Freiheit, die sich deutsche Revoluzzer oder Jugendbewegte allenfalls vorstellen können, standes- wie landesgemäß obrigkeitlich durchzusetzen.
Der scheinbare Gegensatz dieser notorisch (und, da sie immerhin nicht leben will wie vorgeschrieben, nicht rundweg unsympathisch) unzuverlässigen Wuselsphäre der lifestyle politics mal öko-libertärer, mal neu-sozial-alternativer, dann wieder pop-digitaler Farbe einerseits zum intellektuellen und medialen Wirkungskreis ernster Menschen mit abgeschlossenem Universitätsstudium, sozialwissenschaftlicher Bildung sowie Vorliebe für kritische oder analytische Denkmoden von der Frankfurter Schule bis zur Actor Network Theory andererseits ist eine rein gestische Äußerlichkeit: Wenn wir Feuilletonklienten unter uns sind, dürfen unsere Sätze zwar im Gegensatz zu denen der Freiheitsheldinnen und -helden des Populären manchmal die Erkenntnis streifen, daß es nicht alle gleich gut getroffen haben und die individuellen Schicksale Momente kollektiver Prozesse sind, die sich nach Klassenlagen aufschlüsseln lassen, aber verdorben hat sich’s, wer die dabei empfohlenen Tischmanieren verletzt – das Vokabular bietet genügend Anästhetika Marke »Unterschicht«, »Besserverdiener« und nimmt den Umweg über Max Webers Typologien, die Bourdieusche Habituslehre und andere Schönheiten des akademischen Krautgärtleins, wenn sich die Sachverhalte gar nicht mehr ignorieren lassen. Der Spaß hört auf, wo solche sozioökonomischen Allotria ins Politische hinüberreichen, wo Carl Schmitt unsereins die Welt nach Freund und Feind zu unterteilen angewiesen hat. »Klassen« darf man äußerstenfalls für vorhanden halten, den »Klassenkampf« aber nimmermehr – er war ja auch in einem runden Halbjahrhundert deutscher Teilung mit bloßem Auge selten zu erkennen; die davon bestimmte, beklemmende und debattenerstickende Artigkeit aller zur einschlägigen Rede Zugelassenen entlang der geographischen Systemgrenze war übrigens keineswegs ein Exklusivmakel des kapitalistischen Westens: Schon Adorno berichtet von Begegnungen mit Intellektuellen des Ostens, die meinten, sie hätten in ihrer Gesellschaft eigentlich keine Soziologie, weil ihnen nicht klar war, daß der Marxismus durchaus nicht als Katalog frommer Appelle an brave Arbeiter der Faust und der Stirn, sondern als funktionale Erklärung der meisten Vorgänge angelegt gewesen war, und ein hochoffizielles Wörterbuch der Gesellschaftslehre in der DDR weiß zwar außer von »Klassen« viel von westlichen Importbegriffen wie »Management« und einiges über Parsons’ Strukturalismus sowie älteren Positivismus, kennt aber das Stichwort »Revolution« nicht (das gehörte im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat in die Geschichtsbücher und handelte von etwas, das man, erleichtert, hinter sich zu haben meinte).
III.
Was ist Klassentheorie, wann und wo greift sie, was leistet sie?
Nicht in England, wo Marx und Engels das Wort hergeholt haben, nicht in Frankreich, wo das Verständnis von Lebensstil, dem es anhaftet, wenigstens eine Sorte Geschmack mitmeint, die nicht restlos in den tristen Affektationen aufstiegswilliger und abstiegsängstlicher Anziehpuppen gleichgültigen Geschlechts aufgeht, wohl aber in Deutschland gehört das Wort »Klasse« exklusiv den verbohrteren unter den verbliebenen Marxianerinnen und Marxianern.
Wir wollen, nachdem wir gezeigt haben, was die Aufklärung damit zu tun hat und warum die Deutschen es nicht mögen, das Wort den Hartnäckigen nicht vorschnell aus den Händen winden, sondern sie lieber noch einmal befragen, welche Bedeutung es in ihrem Begriffraster eigentlich trägt.
Ad fontes – Lenin definiert:
»Als
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