Der Implex
»Besitz« meinen.
Wer in dieser Unklarheit befangen ist, stellt sich die Besitzlosen etwa nach dem semantischen Bild jener »Enterbten« vor, die Robin Hood immer rächen wollte, oder als einen unspezifischen Pool höherer Töchter und Söhne, die irgendein Erbschleicher oder Winkeladvokat um Wohlleben, ja Auskommen gebracht hat. Mit »jemand hat nichts« aber meint die Klassentheorie: »Jemand wird gehindert, produktiven Besitz zu bilden, und kann nicht, was die können, die solchen Besitz haben: von fremder Arbeit leben.« Was man denen, die in dieser Theorie »Besitzlose« heißen, also weggenommen hat, ist nicht der PC, der Fernseher, Klamotten, Schmuck oder selbst Nahrungsmittel, sondern etwas, das Menschen kurioserweise selbst auf einer einsamen Insel haben, solange sie dort alleine sind oder es da zumindest keine Klassen gibt: das Vermögen, sich die Welt nach Maßgabe der eigenen Fertig- und Fähigkeiten einzurichten, abhängig allein von deren Grad und der Beschaffenheit der Naturressourcen, nicht aber vom Willen anderer Menschen. Der Obdachlose darf nicht lungern; im Urwald dürfte er’s. Der Obdachlose hat auch keinen Gewerbeschein et cetera, das vergessen die Volkswirtschaftler und Kommunikationsprofessoren, wenn sie so tun, als wäre da, wo es Obdachlose gibt, nach wie vor jeder seines eigenen Glückes Schmied. Die Ich-AG-Lüge vom »Sichselbständigmachen« aber hält die Frage des Zusammenhangs zwischen Besitz und Macht so naiv wie nur der gütigste Umverteiler für eine des Zugangs zu Gütern und Dienstleistungen statt für eine der Kommandogewalt oder Unterworfenheit, Abhängigkeit oder Souveränität im Produktionsprozeß. Erklärt irgendein armer Schlucker mit Grafikdesign-Diplom sein bißchen Arbeitskraft und den Rechner einfach zu etwas, das der Schusterei oder Bäckerei aus dem schönen Zeitalter des Konkurrenzkapitalismus analog sei, so muß er dabei notwendig übersehen und verschweigen, daß seine Klitsche nur dann läuft, wenn die sogenannten Auftraggeber, seine Herren also, genügend Brosamen vom Tisch fallen lassen (der Webdesigner lebt nicht von Freundschaftsdiensten und Tauschgeschäften im Kreis anderer armer Schlucker, auch wenn die den Großteil seiner Arbeitszeit fressen, sondern von gelegentlichen Jobs wie dem schmucken Ausgestalten neuer Applikationen für die Site der HypoVereinsbank u.ä.). Selbst die radikalsten Schreier der digitalen Boheme, die sich im »Leben am Rand des Zumutbaren« und jämmerlichen Selbststilisierungen wie »Das ist nichts für jeden, die Freiheit lasse ich mir was kosten, die Festangestellten liegen nachts nicht wach aus Angst vor Krankheit, aber dafür kann ich mir meinen Tagesablauf auch autonom einteilen« gefallen oder doch wenigstens so tun, fingen allerdings spätestens im Krisenjahr 2009 damit an, öffentlich über Sozialkassenmodelle zur Absicherung ihrer weniger »prekären« als vielmehr haltlosen Existenz nachzudenken – die sollten allerdings, soviel Flexibilität und Dumpingmodernität muß sein, wie alles bei diesen Leuten entschieden billiger ausfallen als das, was im 19. und 20. Jahrhundert die in diesen Kreisen sehr unbeliebte Arbeiterbewegung erstritten hat (selbst Bakterien wissen mehr vom Solidarprinzip: Studien aus der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts belegen, daß Antibiotika sich gegen Bakterienkulturen nicht durchsetzen, wenn diejenigen Bakterien, denen genetische Augenblicksvorteile die Chance verschaffen, das feindliche Agens schneller wieder herauszupumpen, als es sie umbringen kann, ihre Mitbakterien und so die ganze Population davor beschützen, über den biotischen Tisch gezogen zu werden – die Forschung hat das Phänomen mit den hübschen parapolitischen Namen »Bacterial Charity Work« und »Shared Resistance« belegt. 4 Den Vorwurf, wir bildeten hier die Sorgen und Illusionen von Leuten ab, deren Selbsteinschätzung als Pionierkräfte von etwas ganz Neuem die Trivialität der Lohndrückerei, Tagelöhnerei, des kommoden Elends nur tarnt und die so wichtig nun auch wieder nicht sind, lassen wir uns gefallen – und drehen ihn nur insofern gegen seine möglichen Urheberinnen und Urheber, als dann der Hinweis erlaubt sein muß: Natürlich sind sie nicht wichtig, aber die Medien, also Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Internet, nehmen sie wichtig, weil sie eben zunehmend von genau solchen Leuten bespielt werden, statt von einigermaßen realistischen Personen, deren Berufsschicksal ihnen diesen Realismus
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